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Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bichsel
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wollte, sagte: »Ich will nichts mehr wissen.«
    Das ist schnell gesagt.
    Das ist schnell gesagt.
    Und schon läutete das Telefon.
    Und anstatt das Kabel aus der Wand zu reißen, was er hätte tun sollen, weil er nichts mehr wissen wollte, nahm er den Hörer ab und sagte seinen Namen.
    »Guten Tag«, sagte der andere.
    Und der Mann sagte auch: »Guten Tag.«
    »Es ist schönes Wetter heute«, sagte der andere.
    Und der Mann sagte nicht: »Ich will dasnicht wissen«, er sagte sogar: »Ja sicher, es ist sehr schönes Wetter heute.«
    Und dann sagte der andere noch etwas.
    Und dann sagte der Mann noch etwas. Und dann legte er den Hörer auf die Gabel, und er ärgerte sich sehr, weil er jetzt wußte, daß es schönes Wetter ist.
    Und jetzt riß er doch das Kabel aus der Wand und rief: »Ich will auch das nicht wissen, und ich will es vergessen.«
    Das ist schnell gesagt.
    Das ist schnell gesagt.
    Denn durch das Fenster schien die Sonne, und wenn die Sonne durch das Fenster scheint, weiß man, daß schönes Wetter ist. Der Mann schloß die Läden, aber nun schien die Sonne durch die Ritzen.
    Der Mann holte Papier und verklebte die Fensterscheiben und saß im Dunkeln.
    Und so saß er lange Zeit, und seine Frau kam und sah die verklebten Fenster und erschrak. Sie fragte: »Was soll das?«»Das soll die Sonne abhalten«, sagte der Mann.
    »Dann hast du kein Licht«, sagte die Frau.
    »Das ist ein Nachteil«, sagte der Mann, »aber es ist besser so, denn wenn ich keine Sonne habe, habe ich zwar kein Licht, aber ich weiß dann wenigstens nicht, daß schönes Wetter ist.«
    »Was hast du gegen das schöne Wetter?« sagte die Frau, »schönes Wetter macht froh.«
    »Ich habe«, sagte der Mann, »nichts gegen das schöne Wetter, ich habe überhaupt nichts gegen das Wetter. Ich will nur nicht wissen, wie es ist.«
    »Dann dreh wenigstens das Licht an«, sagte die Frau, und sie wollte es andrehen, aber der Mann riß die Lampe von der Decke und sagte: »Ich will auch das nicht mehr wissen, ich will auch nicht mehr wissen, daß man das Licht andrehen kann.«Da weinte seine Frau.
    Und der Mann sagte: »Ich will nämlich gar nichts mehr wissen.«
    Und weil das die Frau nicht begreifen konnte, weinte sie nicht mehr und ließ ihren Mann im Dunkeln.
    Und da blieb er sehr lange Zeit.
    Und die Leute, die zu Besuch kamen, fragten die Frau nach ihrem Mann, und die Frau erklärte ihnen: »Das ist nämlich so, er sitzt nämlich im Dunkeln und will nämlich nichts mehr wissen.«
    »Was will er nicht mehr wissen?« fragten die Leute, und die Frau sagte:
    »Nichts, gar nichts mehr will er wissen.
    Er will nicht mehr wissen, was er sieht - nämlich wie das Wetter ist.
    Er will nicht mehr wissen, was er hört - nämlich was die Leute sagen.
    Und er will nicht mehr wissen, was er weiß – nämlich wie man das Licht andreht.So ist das nämlich«, sagte die Frau.
    »Ah, so ist das«, sagten die Leute, und sie kamen nicht mehr zu Besuch.
    Und der Mann saß im Dunkeln.
    Und seine Frau brachte ihm das Essen.
    Und sie fragte: »Was weißt du nicht mehr?«
    Und er sagte: »Ich weiß noch alles«, und er war sehr traurig, weil er noch alles wußte.
    Da versuchte ihn seine Frau zu trösten und sagte: »Aber du weiß doch nicht, wie das Wetter ist.«
    »Wie es ist, weiß ich nicht«, sagte der Mann, »aber ich weiß es immer noch, wie es sein kann. Ich erinnere mich noch an Regentage, und ich erinnere mich an sonnige Tage.«
    »Du wirst es vergessen«, sagte die Frau.
    Und der Mann sagte:
    »Das ist schnell gesagt.
    Das ist schnell gesagt.«Und er blieb im Dunkeln, und seine Frau brachte ihm täglich das Essen, und der Mann schaute auf den Teller und sagte: »Ich weiß, daß das Kartoffeln sind, ich weiß, daß das Fleisch ist, und ich kenne den Blumenkohl; und es nützt alles nichts, ich werde immer alles wissen. Und jedes Wort, das ich sage, weiß ich.«
    Und als seine Frau ihn das nächste Mal fragte: »Was weißt du noch?« da sagte er: »Ich weiß viel mehr als vorher, ich weiß nicht nur, wie schönes Wetter und wie schlechtes Wetter ist, ich weiß jetzt auch, wie das ist, wenn kein Wetter ist. Und ich weiß, daß, wenn es ganz dunkel ist, daß es dann immer noch nicht dunkel genug ist.«
    »Es gibt aber Dinge, die du nicht weißt«, sagte seine Frau und wollte gehen, und als er sie zurückhielt, sagte sie: »Du weißt nämlich nicht, wie › schönes Wetter ‹ auf chinesisch heißt«, und sie ging und schloß die Tür hinter sich.Da begann der Mann,

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