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Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bichsel
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endlich fanden die Knechte einen Knaben, den schleppten sie vor den König. Der Knabe war klein, bleich und schüchtern, und der König wies auf den Galgen und befahl ihm, zuzuschauen.
    Der Knabe schaute zum Galgen, lächelte, klatschte in die Hände, staunte und sagte dann: »Sie müssen ein guter König sein, daß Sie ein Bänklein für die Tauben bauen; sehn Sie, zwei haben sich bereits darauf gesetzt.«»Du bist ein Trottel«, sagte der König, »wie heißt du?«
    »Ich bin ein Trottel, Herr König, und ich heiße Colombo, meine Mutter nennt mich Colombin«.
    »Du Trottel«, sagte der König, »hier wird jemand gehängt.«
    »Wie heißt er denn?« fragte Colombin, und als er den Namen hörte, sagte er: »Ein schöner Name, Hänschen heißt er also. Wie kann man einen Mann, der so schön heißt, aufhängen?«
    »Er lacht so gräßlich«, sagte der König, und er befahl dem Hänschen zu lachen, und Hänschen lachte doppelt so gräßlich wie gestern.
    Colombin staunte, dann sagte er: »Herr König, finden Sie das gräßlich?« Der König war überrascht und konnte nicht antworten, und Colombin fuhr fort: »Mir gefällt sein Lachen nicht besonders, aber die Tauben sitzen immer noch auf dem Galgen; es hat sie nicht erschreckt; siefinden das Lachen nicht gräßlich. Tauben haben ein feines Gehör. Man muß Hänschen laufen lassen.«
    Der König überlegte und sagte dann: »Hänschen, scher dich zum Teufel.«
    Und Hänschen sprach zum ersten Mal ein Wort. Er sagte zu Colombin: »Danke!« und lächelte dazu ein schönes menschliches Lächeln und ging.
    Der König hatte keinen Narren mehr.
    »Komm mit«, sagte er zu Colombin.
    Des Königs Diener und Mägde, die Grafen und alle glaubten aber, Colombin sei der neue Hofnarr.
    Doch Colombin war gar nicht lustig. Er stand da und staunte, sprach selten ein Wort und lachte nicht, er lächelte nur und brachte niemanden zum Lachen.
    »Er ist kein Narr, er ist ein Trottel«, sagten die Leute, und Colombin sagte: »Ich bin kein Narr, ich bin ein Trottel.«
    Und die Leute lachten ihn aus.Wenn das der König gewußt hätte, wäre er böse geworden, aber Colombin sagte ihm nichts davon, denn es machte ihm nichts aus, ausgelacht zu werden.
    Am Hofe gab es starke Leute und gescheite Leute, der König war ein König, die Frauen waren schön und die Männer mutig, der Pfarrer war fromm und die Küchenmagd fleißig – nur Colombin, Colombin war nichts.
    Wenn jemand sagte: »Komm, Colombin, kämpf mit mir«, sagte Colombin: »Ich bin schwächer als du.«
    Wenn jemand sagte: »Wieviel gibt zwei mal sieben?«, sagte Colombin: »Ich bin dümmer als du.«
    Wenn jemand sagte: »Getraust du dich, über den Bach zu springen«, sagte Colombin: »Nein, ich getraue mich nicht.«
    Und wenn der König fragte: »Colombin, was willst du werden?«, antwortete Colombin: »Ich will nichts werden, ich bin schon etwas, ich bin Colombin.«Der König sagte: »Du mußt aber etwas werden«, und Colombin fragte: »Was kann man werden?«
    Da sagte der König: »Jener Mann mit dem Bart, mit dem braunen, ledernen Gesicht, das ist ein Seefahrer. Der wollte Seefahrer werden und ist Seefahrer geworden, er segelt über die Meere und entdeckt Länder für seinen König.«
    »Wenn du willst, mein König«, sagte Colombin, »werde ich Seefahrer.«
    Da mußte der ganze Hof lachen.
    Und Colombin rannte weg, fort aus dem Saal und schrie: »Ich werde ein Land entdecken, ich werde ein Land entdecken!«
    Die Leute schauten sich an und schüttelten die Köpfe, und Colombin rannte aus dem Schloß, durch die Stadt und über das Feld, und den Bauern, die auf den Feldern standen und ihm nachschauten, rief er zu: »Ich werde ein Land entdecken, ich werde ein Land entdecken!«Und er kam in den Wald und versteckte sich wochenlang unter den Büschen, und wochenlang hörte niemand etwas von Colombin, und der König war traurig und machte sich Vorwürfe, und die Hofleute schämten sich, weil sie Colombin ausgelacht hatten.
    Und sie waren froh, als nach Wochen der Wächter auf dem Turm die Fanfare blies und Colombin über die Felder kam, durch die Stadt kam, durchs Tor kam, vor den König trat und sagte: »Mein König, Colombin hat ein Land entdeckt!«
    Und weil die Hofleute Colombin nicht mehr auslachen wollten, machten sie ernste Gesichter und fragten: »Wie heißt es denn, und wo liegt es?«
    »Es heißt noch nicht, weil ich es erst entdeckt habe, und es liegt weit draußen im Meer«, sagte Colombin.
    Da erhob sich der bärtige Seefahrer

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