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Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Kindergeschichten (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bichsel
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keine Post, las keine Zeitungen und wußte nichts davon, daß es Radios gibt.
    Und nach all den Jahren kam der Abend, an dem er nicht schlecht gelaunt war, denn er hatte seine Erfindung erfunden, und er legte sich jetzt überhaupt nicht mehr schlafen. Tag und Nacht saß er über seinen Plänen und prüfte sie nach, und sie stimmten.Dann rollte er sie zusammen und ging nach Jahren zum ersten Mal in die Stadt. Sie hatte sich völlig verändert.
    Wo es früher Pferde gab, da gab es jetzt Automobile, und im Warenhaus gab es eine Rolltreppe, und die Eisenbahnen fuhren nicht mehr mit Dampf. Die Straßenbahnen fuhren unter dem Boden und hießen jetzt Untergrundbahnen, und aus kleinen Kästchen, die man mit sich tragen konnte, kam Musik.
    Der Erfinder staunte. Aber weil er ein Erfinder war, begriff er alles sehr schnell.
    Er sah einen Kühlschrank und sagte:
    »Aha.«
    Er sah ein Telefon und sagte: »Aha.«
    Und als er rote und grüne Lichter sah, begriff er, daß man bei Rot warten muß und bei Grün gehen darf.
    Und er wartete bei Rot und ging bei Grün.
    Und er begriff alles, aber er staunte, und fast hätte er dabei seine eigene Erfindung vergessen.Als sie ihm wieder einfiel, ging er auf einen Mann zu, der eben bei Rot wartete und sagte: »Entschuldigen Sie, mein Herr, ich habe eine Erfindung gemacht.«
    Und der Herr war freundlich und sagte:
    »Und jetzt, was wollen Sie?«
    Und der Erfinder wußte es nicht.
    »Es ist nämlich eine wichtige Erfindung«, sagte der Erfinder, aber da schaltete die Ampel auf Grün, und sie mußten gehen.
    Wenn man aber lange nicht mehr in der Stadt war, dann kennt man sich nicht mehr aus, und wenn man eine Erfindung gemacht hat, weiß man nicht, wohin man mit ihr soll.
    Was hätten die Leute sagen sollen, zu denen der Erfinder sagte: »Ich habe eine Erfindung gemacht.«
    Die meisten sagten nichts, einige lachten den Erfinder aus, und einige gingen weiter, als hätten sie nichts gehört.Weil der Erfinder lange nicht mehr mit Leuten gesprochen hatte, wußte er auch nicht mehr, wie man ein Gespräch beginnt. Er wußte nicht, daß man als erstes sagt: »Bitte, können Sie mir sagen, wie spät es ist?« oder daß man sagt:
    »Schlechtes Wetter heute.«
    Er dachte gar nicht daran, daß es unmöglich ist, einfach zu sagen: »Sie, ich habe eine Erfindung gemacht«, und als in der Straßenbahn jemand zu ihm sagte: »Ein sonniger Tag heute«, da sagte er nicht: »Ja, ein wunderschöner Tag«, sondern er sagte gleich: »Sie, ich habe eine Erfindung gemacht.«
    Er konnte an nichts anderes mehr denken, denn seine Erfindung war eine große, sehr wichtige und eigenartige Erfindung. Wenn er nicht ganz sicher gewesen wäre, daß seine Pläne stimmten, dann hätte er selbst nicht daran glauben können.
    Er hatte einen Apparat erfunden, in demman sehen konnte, was weit weg geschieht.
    Und er sprang auf in der Straßenbahn, breitete seine Pläne zwischen den Beinen der Leute auf dem Boden aus und rief: »Hier schaut mal, ich habe einen Apparat erfunden, in dem man sehen kann, was weit weg geschieht.«
    Die Leute taten so, als wäre nichts geschehen, sie stiegen ein und aus, und der Erfinder rief: »Schaut doch, ich habe etwas erfunden. Sie können damit sehen, was weit weg geschieht.«
    »Der hat das Fernsehen erfunden«, rief jemand, und alle lachten.
    »Warum lachen Sie?« fragte der Mann, aber niemand antwortete, und er stieg aus, ging durch die Straßen, blieb bei Rot stehen und ging bei Grün weiter, setzte sich in ein Restaurant und bestellte einen Kaffee, und als sein Nachbar zu ihm sagte: »Schönes Wetter heute«, da sagte der Erfinder: »Helfen Sie mir doch, ichhabe das Fernsehen erfunden, und niemand will es glauben – alle lachen mich aus.« Und sein Nachbar sagte nichts mehr. Er schaute den Erfinder lange an, und der Erfinder fragte: »Warum lachen die Leute?« »Sie lachen«, sagte der Mann, »weil es das Fernsehen schon lange gibt und weil man das nicht mehr erfinden muß«, und er zeigte in die Ecke des Restaurants, wo ein Fernsehapparat stand, und fragte: »Soll ich ihn einschalten?«
    Aber der Erfinder sagte: »Nein, ich möchte das nicht sehen.« Er stand auf und ging.
    Seine Pläne ließ er liegen.
    Er ging durch die Stadt, achtete nicht mehr auf Grün und Rot, und die Autofahrer schimpften und tippten mit dem Finger an die Stirn.
    Seither kam der Erfinder nie mehr in die Stadt.Er ging nach Hause und erfand jetzt nur noch für sich selbst.
    Er nahm einen Bogen Papier, schrieb darauf »Das

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