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Kinderland: Erster Teil: Ein Unwetter zieht auf

Kinderland: Erster Teil: Ein Unwetter zieht auf

Titel: Kinderland: Erster Teil: Ein Unwetter zieht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Lorenz
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Karte«, sagte Christoph und kicherte.
    Neben ihm warf Robert einen flachen Kiesel, den er in seiner Hosentasche gefunden hatte, über die Straße. Funken stoben empor.
    »Es wird sie niemand niemals finden«, sagte er.
    »Niemand niemals? Robert, du solltest Bücher schreiben. Das wusste ich schon immer, du bist ein Genie«, sagte Alfons, der als Einziger von ihnen richtige Bücher las und nicht nur die Zack-Comics, die Sara hinter dem Schrank in ihrem Zimmer versteckte.
    »Blödmann.«
    »Dummkopf, dummer. Bist so blöd wie Brot.«
    »Brot wäre jetzt gut, auch blödes Brot. Her damit!«, sagte das Skelett in seiner besten Jerry Lewis Stimme, und alle mussten lachen.
    »Ich hab hier noch ein Bonbon, willst du es haben?« Sara suchte in der kleinen aufgenähten Tasche ihres Kleides, dunkle Schatten auf ihrem hellen Gesicht, fand es und gab es Christoph.
    »Der bekommt immer etwas zu essen. Soll der etwa noch platzen?« Alfons fing an zu schmollen. Alle mochten das, denn dann sah er aus wie ein kleines Kind, das gleich anfangen würde zu heulen.
    Robert stupste ihn in die Seite und sagte: »Ich hoffe, ihr ladet mich zu eurer Hochzeit ein.« Er umarmte sich selbst dabei, küsste laut schmatzend die Nachtluft.
    Christoph murmelte etwas, wurde bis zu den Ohren rot. Sara kicherte und berührte seine Haare, wie sie es hin und wieder tat.
    Dann sahen sie eine Sternschnuppe, die den Himmel teilte, und für einen Augenblick lang war diese Nacht ihre Nacht.

Die verlorenen Kinder
Sommer 1973
    Sara
    Manchmal, wenn sie zu traurig war, um mit sich selbst zu sprechen, schrieb sie Gedichte in ihr Tagebuch, das sie unter ihrem Kopfkissen verbarg. Wenn ihre Mutter zum Aufräumen hochkam, steckte sie es in den kleinen Spalt zwischen Kleiderschrank und Wand, obwohl sie nicht wirklich glaubte, ihre Mutter würde darin lesen wollen. Ihre Mutter interessierte sich ausschließlich für die neuen Versandkataloge, die jeden Monat im Briefkasten lagen. Neue Kleider, neue Schuhe, die sie sich nicht leisten konnte.
    »Nur wegen dir muss ich rumlaufen wie eine verfluchte Vogelscheuche«, sagte sie, wenn sie zu viel getrunken hatte. Das kam zwar nicht allzu oft vor, aber es gibt Worte, die müssen nur einmal ausgesprochen werden, um niemals vergessen zu werden.
    Martha Ascher wäre gerne eine von diesen Frauen gewesen, die an Sommertagen mit einem neuen Badeanzug den Rasen inspiziert hätte. So wie ihre Nachbarin, bei der zweimal in der Woche der Postbote vor der Tür stand. Eine Zeit lang erzählten sich die Leute, die Nachbarin würde etwas mit diesem Postboten haben, was auch immer das heißen mochte. Sara jedenfalls fand, dass er aussah wie ein Tintenfisch.
    Ihr Vater Michael arbeitete wie die meisten in der Stadt in der Zigaretten-Fabrik, diesem beeindruckenden Gebäude mit den dunkel verglasten Fenstern, in denen sich die Wolken spiegelten – aber auch die Gewitter und die schlechten Träume. Eigentlich lebte ihr Vater in der Garage, den dunkelblauen Ford in die Einfahrt gerollt, das schwere Eisentor halb geschlossen. In den Wintermonaten war es hier so kalt, dass einem der Rotz in der Nase gefrieren konnte, was ihn jedoch nicht weiter zu kümmern schien.
    Er sammelte allerlei Krempel, den er – wohl um möglichst lange in der Garage bleiben zu können – umständlich reparierte. »Mir ist was runtergefallen«, hörte man ihn rufen, wenn es wieder einmal laut gescheppert hatte. »Du bist einfach ein Trottel«, sagte seine Frau dann, den Kopf auf jene Art schüttelnd, wie man es tat, wenn man längst alle Hoffnungen aufgegeben hat. »Hätte
ich
es nur mit dem Postboten getrieben«, murmelte sie, so leise, dass es niemand hören konnte. Aber vermutlich wäre ihr das egal gewesen. Der Postbote war wenigstens ein Mann und kein linkischer Vollidiot.
    Von Zeit zu Zeit ging Sara zu ihrem Vater in die Garage, um ihm ein wenig zu helfen, oder einfach nur auf dem alten Sofa zu sitzen, das ölverschmiert in der Ecke stand. Wenn das Sommerlicht durch die kleinen Ritzen des Anbaus strömte und den Staub tanzen ließ, vermengt mit dem Geruch von Benzin, Schmieröl und Aftershave. Wenn er sicher war, dass seine Frau ihn nicht beobachtete, zündete sich Saras Vater eine Zigarette an und trank aus dem rostfarbenen Becher Kaffee, den er sich am Morgen gemacht hatte.
    »Weißt du«, sagte er eines Morgens zu seiner Tochter, »es sollte immer Orte geben, die nur einem selbst gehören.«
    »Wie die Garage?«
    Sara saß auf dem alten Sofa, die Beine

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