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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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Vorwort
    Es gibt Augenblicke im Leben, da wird einem schlagartig bewusst, dass etwas ganz entschieden falsch läuft. Augenblicke, in denen zur Gewissheit wird, dass man einen Schlussstrich ziehen muss. Einen solchen Moment erlebte ich in den ersten Frühlingstagen des Jahres 2010. Auf einmal war mir klar: Ich darf nicht länger schweigen. Die heuchlerische, bigotte Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität brachte mich dazu, mich öffentlich zu outen und gleichzeitig als Herausgeber und Chefredakteur der konservativen Zeitschrift Theologisches zurückzutreten.
    Bewusst wählte ich für meinen Schritt an die Öffentlichkeit die Frankfurter Rundschau, da diese das Thema Homosexualität und katholische Kirche in den Vormonaten immer wieder in seriöser Weise aufgegriffen hatte. Am 23. April 2010 erschien dort ein Gastbeitrag von mir, in dem ich mein Outing mit einer weitergehenden Kritik an einigen zentralen Denk- und Handlungsmustern der katholischen Kirche verband. Wie es zu diesem folgenschweren Schritt kam und welche Reaktionen er innerhalb der Kirche auslöste, möchte ich in diesem Buch näher erläutern.
    Der letzte Anstoß, der mich veranlasste, meine sexuelle Veranlagung öffentlich zu machen, war ein Auftritt des katholischen Bischofs Franz-Josef Overbeck aus Essen in der ARD-Sendung Anne Will am 11. April 2010.
    Am Nachmittag dieses Sonntags hatte ich noch lange mit einem befreundeten homosexuellen Priester telefoniert. Der Seelsorger aus dem Rheinland ist aufgrund seiner Veranlagung, besser gesagt, aufgrund des scheinheiligen Umgangs damit innerhalb der Priesterschaft seiner Diözese, schwer depressiv geworden. Ich tröstete ihn unter anderem mit dem seit 1992 gültigen »Katechismus der Katholischen Kirche«, der gegenüber homosexuellen Menschen Respekt und Taktgefühl fordert und jede ungerechte Zurücksetzung verurteilt. Immerhin finden sich diese doch sehr tolerant klingenden Vorgaben in dem unter Vorsitz des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger ausgearbeiteten Werk, das als das aktuellste, alle Katholiken bindende Handbuch der katholischen Glaubens- und Sittenlehre zu gelten hat.
    Wenige Stunden später dann das einem Millionenpublikum vorgetragene Verdikt des Essener Bischofs, dass homosexuell zu sein eine Sünde, weil wider die Natur sei. Von Respekt und Taktgefühl sowie Verzicht auf ungerechte Diskriminierung war hier nichts mehr zu spüren.
    Nicht nur das Studiopublikum reagierte mit Fassungslosigkeit. Für mich und für viele Menschen, mit denen ich seither über Overbecks Fernsehauftritt gesprochen habe, geht es dabei um mehr als den einmaligen Auftritt eines ehrgeizigen Bischofs aus einer weltkirchlich verhältnismäßig bedeutungslosen Diözese.
    Zum Zeitpunkt seiner Aussage, die selbst bei CSU-Politikern für Unverständnis sorgte, stand die katholische Kirche bereits seit Monaten wegen zahlreicher Missbrauchsfälle in der Kritik. Was die betroffenen Ortskirchen in Österreich, den Vereinigten Staaten und Irland an den Rand des moralischen und finanziellen Ruins getrieben hatte, trat nun auch in Deutschland ans helle Licht der Öffentlichkeit. Schnell wurde klar, dass die im Januar 2010 durch einen mutigen Brief von Pater Klaus Mertes, Rektor des Berliner Canisius-Kollegs der Jesuiten, bekannt gemachten Vorfälle systematischen sexuellen Missbrauchs von Schülern seiner Schule nur die Spitze des Eisbergs waren. Die von der Bild-Zeitung regelmäßig aktualisierte »Karte der Schande«, eine Deutschlandkarte, auf der von katholischen Priestern verübte Missbrauchsfälle eingetragen wurden, bekam im Eiltempo immer mehr rote Punkte. Ermutigt durch das öffentliche Klima, das von Mitleid mit den Missbrauchten geprägt war, meldeten sich auch erste Opfer eines deutschen Diözesanbischofs, des Augsburger Oberhirten Walter Mixa, zu Wort. Der Fall dieses Bischofs, dem man Misshandlung von Schutzbefohlenen und Veruntreuung von Geldern vorwarf und der erst hartnäckig leugnete, um dann scheibchenweise seine Verfehlungen einzugestehen, ist geradezu exemplarisch für eine Kirchenkrise, die viele bereits als die »schwerste Krise der katholischen Kirche seit der Reformation« [1] bezeichnen.
    Bei genauerem Hinsehen geht es aber nicht nur um die Verbrechen, deren sich Geistliche schuldig gemacht haben. Denn die »tiefe Erschütterung und Scham«, von der Pater Mertes in seinem Brief an ehemalige Schülerinnen und Schüler des Canisius-Kollegs sprach, und die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der er

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