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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fehlerlos, ebenso die Wundversorgung.« Professor Karchow rückte an seiner Goldbrille. Er war ein kleiner, dicklicher Mann mit einer Glatze, der mehr wie ein gemütlicher Rentner aussah als wie ein Tyrann, vor dem die Klinik ›Bethlehem‹ zitterte. Bekannt geworden war er durch ein Lehrbuch über Mißbildungen der Kinder durch innersekretorische Störungen, das ihm zwar kein Geld, aber internationalen Ruhm eingebracht hatte. Seit elf Jahren leitete er ›Bethlehem‹, las an der benachbarten Universität als a.o. Professor und galt in Studentenkreisen als der Mann, der seinen Facharztberuf verfehlt hatte. Seine oft bissigen, sarkastischen Bemerkungen paßten besser zu einem Gynäkologen als zu einem Kinderarzt. Er war verheiratet mit einer Baronin, hatte drei Kinder, die verstreut in aller Welt lebten und die nur zum Geburtstag und zu Weihnachten schrieben, in englischer, französischer und spanischer Sprache.
    »Aber das will wenig besagen, Herr Kommissar«, fuhr Professor Karchow fort. »Es gibt Fälle, in denen eine Mutter alles allein tat, mit dem Instinkt eines Tieres.«
    »Aber so perfekt?«
    »Man wundert sich manchmal, was man so sieht.«
    »Außerdem muß das Kind von einer zweiten Person zur Kliniktür getragen worden sein. Wenn das Kind wirklich nur vier Tage alt ist, liegt die Mutter noch im Wochenbett.«
    »Wieder ein Irrtum, Kommissar! Wochenbett ist so ein alter, eingebürgerter Ausdruck. Ich kenne Mütter, die standen nach der Geburt wieder auf, als sei nichts geschehen. Dr. Julius –«, Karchow sah seinen Oberarzt durch die Goldbrille an –, »erinnern Sie sich an den Fall Wempes? Walburga Wempes war eine Hausangestellte. In der Nacht gebar sie in ihrem Zimmer ein Kind – niemand hatte ihr den Zustand angesehen –, stieg um 6 Uhr früh in den Keller, steckte die blutige Bettwäsche in die Waschmaschine, verrichtete den ganzen Tag über gewissenhaft ihre Arbeit, gab dem Neugeborenen am nächsten Morgen nach Abgang des Kindspechs die erste Nahrung und erwürgte es dann in einer Art Kurzschlußpanik. Sie sehen, auch das kommt vor. Vier Tage sind eine lange Zeit. Da kann eine junge, kräftige Mutter schon wieder marschieren, wenn es sein muß.« Karchow wandte sich von dem kleinen weißen Bett ab und trat an das Fenster des großen Krankenhauses. Es war die Kleinkinderstation. Bettchen neben Bettchen stand hier auf blauem, gewachstem Linoleum. Aus ihnen sahen die Köpfchen der kleinen Kranken auf die Ansammlung der weißen Mäntel, kahle, blonde, schwarze, braune Schädelchen, apathisch, plärrend, lachend, quiekend, brüllend, spielend, lallend. Fünf Schwestern arbeiteten hier in einem kleinen Inferno von Lärm und Gerüchen.
    »Ich beneide Sie nicht um Ihre Suche, Herr Kommissar«, sagte Professor Karchow. »Unsere Stadt hat über 400.000 Einwohner. Wer sagt, daß die Mutter aus unserer Stadt kommt? Sie kann angereist sein, aus Bayern oder Schleswig, aus Bremen oder Passau, Hannover oder Saarbrücken. Wie wollen Sie da überhaupt recherchieren?«
    »Meistens hilft uns ein Hinweis der Bevölkerung.«
    »Ach so!« Karchow steckte die Hände in die Tasche. »Natürlich! Ich vergaß. Sie werden erstaunt sein, wieviel uneheliche Mütter es gibt.«
    »Aber eine Spur wird die richtige sein.«
    »Weidmanns Heil!« Karchow wandte sich ab und verließ den Kleinkindersaal. Im Flur drückte er Kommissar Gutenberg die Hand. »Sie erinnern mich an eine Frau, die ich bei der Überfahrt mit der ›Bremen‹ im New Yorker Hafenbüro traf. Sie hatte einen Ring verloren, auf dem Schiff, von der Reling war er ihr in den Ozean gefallen. Und nun sagte sie: ›Ich gebe Ihnen 100 Dollar, wenn Sie den Ring finden. Wissen Sie, er ist mir da ins Wasser gefallen, wo die halbgeschmolzenen Eisberge sind –‹ Ihre Lage, lieber Herr Gutenberg, scheint mir ähnlich –«
    Es begann damit, daß Julia Bergmann, Serviererin im ›Café Bornmeyer‹, auf dem Marktplatz einen Weihnachtsbaum kaufte. Sie hatte sich eine halbe Stunde freigenommen, ging nun von Stand zu Stand, besah die Fichten, die man gebräuchlicher Tannenbaum nennt, prüfte einige Bäume rundum und entschloß sich schließlich, für 10,50 einen Baum von 1,50 m Höhe zu kaufen. Er war gerade gewachsen, hatte gleichmäßige Zweige, schien frisch zu sein und nadelte nicht beim kräftigen Schütteln.
    Mit dem Baum unterm Arm überquerte sie die Straße, als ein Lastwagen bremste und ein junger Mann das Fenster des Führerhauses herunterkurbelte.
    »Es ist mir

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