Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Gesicht, das blaue Augen, strahlend weiße Zähne und mehrere Lachgrübchen veredelten. Sie trug eine randlose Brille, die ihre attraktive Erscheinung mit genau der richtigen Dosis Esprit würzte. Auf ihr gepflegtes Äußeres exakt abgestimmt war die betont jugendliche und sportliche Kleidung: Sie trug ein orange-weißes, quer gestreiftes Poloshirt, 3/4-Designerjeans und passende Sneakers.
Bei diesem Anblick spürte Tannenberg seinen Herzschlag im Halse pochen.
»Verzeih mir, Wolf, ich glaube, ich habe verschlafen«, entschuldigte sie sich.
»Nein, nein, du kommst gerade richtig.«
Sie ging zu ihm hin, gab ihm einen zarten Kuss und drückte ihm ein Kuvert in die Hand. Er öffnete es mit seinem Frühstücksmesser.
»Whow, zwei Karten für das Deep-Purple-Konzert. Super!«, rief er strahlend.
»Ich hab gedacht, dass ich dir so etwas wie diesen Überraschungs-Kulturtrip nach Johanniskreuz nicht noch einmal zumuten kann.«
Ein dankbares Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich an diese unerträgliche Tortur zurückerinnerte. Er war eben ein notorischer Kulturmuffel.
»Guten Morgen, liebe Hanne«, begrüßte Dr. Schönthaler die attraktive Herzdame seines besten Freundes. »Ich denke, nun ist es an der Zeit, dass auch ich dem Geburtstagskind seine Geschenke überreiche.« Unter den neugierigen Blicken der anderen öffnete er die Tür zur Abstellkammer, holte ein großes Paket hervor und stellte es vor Tannenberg auf den Boden.
Der kniete sich nieder und riss den nur provisorisch mit Zeitungspapier umhüllten Pappkarton auf.
»Hattest wohl mal wieder gerade kein Geschenkpapier zur Hand«, spottete der Kriminalbeamte, obwohl er genau wusste, dass sein Freund aus Prinzip diese ziemlich unorthodoxe Verpackungsvariante wählte.
»Geschenkpapier ist mindestens genauso überflüssig wie die Steißbeinfistel, die dir mein Kollege von der Frischfleisch-Fraktion vor einem Vierteljahr herausgeschnibbelt hat.«
In schmerzlicher Erinnerung an das der Operation folgende Martyrium nickte Tannenberg zustimmend.
»Wie geht’s denn eigentlich dem Loch zwischen deinen erschlafften Pobacken?«
Wolfram Tannenberg warf ihm einen bösen Blick zu, dann zerrte er das Papier von einem Schuhkarton. »Na, was haben wir denn da Feines?«, versuchte er von diesem leidigen Thema abzulenken. Er hob den Deckel ab. »Was ist denn das?«, fragte er verwundert. Er zog ein roséfarbenes Kissen heraus, das dicht mit Gumminoppen besetzt war.
»Bei diesem segensreichen physiotherapeutischen Accessoire handelt es sich um ein Massagekissen, das gerade bei der Gesäßmuskelatrophie älterer Männer hervorragende Dienste leisten kann.«
Noch bevor sein geschockter Freund irgendetwas entgegnen konnte, zauberte Dr. Schönthaler aus dem Geschenkpaket zwei längliche Schachteln hervor, die er den Anwesenden präsentierte. »In Verbindung mit dieser bewährten Anti-Faltencreme für die sogenannte reifere Haut …«
Weiter kam er nicht, denn Tannenberg stürzte sich auf ihn, drückte ihm das Kissen ins Gesicht. »Elender Mistkerl! Wenn man solche Freunde hat, braucht man wirklich keine Feinde mehr.«
Sonntag, 4. August
8 Uhr 30
Lächelnd schob Margot den Buggy durch die Parkstraße. Ihre heiteren Gedanken beschäftigten sich mit dem 50. Geburtstag ihres jüngsten Sohnes Wolfram, den die Großfamilie gestern gebührend gefeiert hatte. Das Bilderbuchwetter steigerte Margots Feiertagslaune noch ein wenig, und sie fing an, ›So ein Tag, so wunderschön wie heute‹ zu summen. Die kleine Emma wandte das blonde Lockenköpfchen zu ihrer Urgroßmutter um und schaute sie neugierig an.
»Na, mein süßer kleiner Spatz, du möchtest bestimmt wissen, warum die Uroma sich so freut, gell?«
Emma lächelte, oben blitzten zwei Schneidezähnchen auf. Margots Miene verdüsterte sich. Sie hatte die beulenförmige Schwellung im Unterkiefer entdeckt, die Emma und ihren Eltern eine weitere unruhige Nacht beschert hatte.
»Diese doofen, doofen Zähnchen. Erst ärgern sie einen, bis sie da sind, und dann ärgern sie einen, bis sie wieder fort sind.« Sie dachte an die Probleme mit ihrer neuen Zahnprothese und ergänzte seufzend: »Und wenn sie endlich draußen sind, hat man noch immer keine Ruhe.«
Margot ließ ein beiges Taxi passieren, dann überquerte sie zügig die Trippstadterstraße. Am östlichen Eingang des Stadtparks wurde sie von ihrer Freundin Elfriede erwartet, die vor knapp eineinhalb Jahren zum ersten Mal Oma geworden war. Seitdem besuchten
Weitere Kostenlose Bücher