King Stephen
mal ein Glimmen am
Horizont. Ich warf meinen Rucksack runter in die
Wagenspur, in die ich meine Füße hatte baumeln
lassen, stand auf und ging auf den Friedhof. Eine
Haarlocke fiel auf meine Augenbraue, der Wind
blies sie wieder weg. Der Nebel schlängelte sich
behaglich um meine Schuhe. Die Steine im hinteren
Teil waren alt, viele von ihnen umgekippt. Die im
vorderen Teil waren viel neuer. Ich bückte mich,
die Hände auf meinen Knien abgestützt, um ein mit
fast frischen Blumen umrandetes Grab zu
betrachten. Im Mondlicht war der Name einfach zu
lesen: G EORGE S TAUB . Unten drunter die Daten, die
das kurze Leben von Georg Staub festhielten:
19. J ANUAR 1977 auf der einen Seite und
12. O KTOBER 1998 auf der anderen. Das erklärte
die Blumen, die anfingen zu welken; der
12. Oktober war gerade zwei Tage vorbei und 1998
war vor zwei Jahren. George’s Freunde und
Verwandte waren hier, um ihren Respekt zu zollen.
Unter dem Namen und Daten stand noch etwas,
eine kurze Inschrift. Ich lehnte mich weiter nach
unten, um es zu lesen - und stolperte zurück,
erschreckte und mir wurde bewußt, was ich tat:
einen Friedhof im Mondschein zu besuchen.
S PAß IST S PAß UND V ORBEI IST V ORBEI
war die Inschrift.
Meine Mutter war tot, wahrscheinlich ist sie genau
in jenem Augenblick verstorben und irgend etwas
hat mir diese Nachricht eben gebracht. Irgend etwas
mit einem total unerfreulichen Sinn für Humor.
Ich bewegte mich langsam zurück zur Straße,
lauschte dem Wind in den Bäumen, lauschte dem
Plätschern und dem Frosch; angsterfüllt, ich könnte
ein anderes Geräusch vernehmen, das reibende
Geräusch von Erde und Wurzeln, die sich an mir
festsaugen, das aus den Gräbern emporstrebende
Untote, wie es nach meinen Schuhen tastet
Meine Füße verhedderten sich und ich kippte
hinten rüber, knallte mit einem Ellenbogen auf
einen Grabstein und verfehlte einen weiteren knapp
mit meinem Hinterkopf. Mit einem dumpfen
Geräusch landete ich im Gras und sah den Mond,
der gerade noch sichtbar durch die Bäume lugte. Er
war jetzt weiß anstatt orange und sah aus wie ein
polierter Knochen.
Der Sturz klärte meine Gedanken auf und
verhinderte weitere Panikanfälle. Ich weiß nicht,
was ich gesehen habe, aber es kann nicht sein, was
ich glaube gesehen zu haben; das Zeug das in
Filmen von John Carpenter und Wes Craven
funktioniert, aber das war nichts aus dem realen
Leben.
Ja, okay, gut, flüsterte eine Stimme in meinem
Kopf. Und jetzt gehst Du hier einfach raus und
glaubst das weiterhin. Du kannst daran glauben für
den Rest Deines Lebens.
“Scheiß ‘drauf,” sagte ich und stand auf. Mein
Hosenboden war naß und ich zog ihn von meiner
Haut ab. Es war nicht so einfach, wieder zum Stein
zu gehen, der die Ruhestätte von Georg Staub
zierte, aber es war auch wieder nicht so schwierig,
wie ich es eigentlich erwartet hatte. Der Wind
seufzte durch die Bäume, immer noch stärker
werdend signalisierte er die Wetteränderung.
Schatten tänzelnten ungleichmäßig um mich herum.
Äste schabten aneinander, ein quietschendes
Geräusch entströmte den Bäumen. Ich bückte mich
über das Grabmal und las:
G EORGE S TAUB
19. J ANUAR 1999 - 12. O KTOBER 1998 klasse begonnen, zu schnell vorbei
Ich stand da, vornübergebeugt und mit den Händen
auf meinen Oberschenkel kurz über den Knien
abgestützt, mir nicht bewußt, wie schnell mein Herz
schlug, bevor es anfing, sich zu beruhigen. Ein
ekeliger Zufall, das war alles, aber ist es nicht
natürlich, daß ich mich verlesen habe bei den
Zeilen unterhalb des Namens und der Daten? Selbst
wenn ich nicht müde und angespannt gewesen wäre
hätte ich es falsch erkennen können - das Mondlicht
war ein steter und Irrführer. Akte geschlossen.
Abgesehen davon, daß ich wußte , was ich gelesen
hatte: Spaß ist Spaß und vorbei ist vorbei .
Meine Mutter war tot.
“Scheiß ‘drauf,” wiederholte ich und drehte mich
weg. Als ich das tat, registrierte ich, daß der durch
das Gras und um meine Knöchel kräuselnde Nebel
heller geworden war. Ich konnte das leise Geräusch
eines näherkommenden Motors hören. Ein Auto
kam.
Ich rannte zurück zu der Öffnung in der
Steinmauer, schnappte mir meinen Rucksack im
Vorbeilaufen. Die Lichter des herannahenden
Autos waren auf der Hälfte des Hügels. Ich hielt
meinen Daumen raus, gerade als der Lichtkegel
mich erfaßte, mich für einen Augenblick blendete.
Ich wußte, daß der Typ halten würde, noch bevor er
angefangen hatte, die Geschwindigkeit zu
verringern.
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