Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
damit warten Sie so lange? Sie hätten doch vom Gefängnis aus eine Untersuchung veranlassen können und sich vielleicht ein paar Jährchen erspart.«
Sie lächelte schwach. »Ich behaupte seit Jahren, daß ich unschuldig bin. Wer glaubt mir denn? Im Augenblick der Anklage habe ich meine Glaubwürdigkeit verloren. Die möchte ich zurück. Und ich möchte wissen, wer mich reingelegt hat.«
Ihre Augen waren mir dunkel vorgekommen, aber jetzt konnte ich sehen, daß sie metallisch grau waren. Ihr Blick war kalt, verflacht, als ob sich ein inneres Licht trübte. Sie schien eine Frau ohne viel Hoffnung zu sein. Ich selbst hatte sie nie für schuldig gehalten, aber ich wußte nicht mehr, was mich davon so überzeugt hatte. Sie wirkte leidenschaftslos, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie auf irgend etwas genügend Wert legte, um dafür zu töten.
»Erzählen Sie mal?«
Sie nahm einen Schluck Kaffee und stellte den Becher dann auf den Rand meines Schreibtisches.
»Ich war vier Jahre mit Laurence verheiratet, sogar eine Idee länger. Nach den ersten sechs Monaten ging er fremd. Ich weiß nicht, warum das so ein Schlag für mich gewesen ist. Eigentlich bin ich genau auf diese Art an ihn geraten... als er noch mit seiner ersten Frau zusammen war und sie mit mir betrog. Eine Geliebte zu sein, das hat wohl auch etwas Egoistisches. Jedenfalls hätte ich nie damit gerechnet, selbst einmal die Betrogene zu sein, und es gefiel mir nicht besonders.«
»Nach Ansicht des Staatsanwalts haben Sie ihn deswegen umgebracht.«
»Schauen Sie, die brauchten einen Schuldspruch. Das war ich«, sagte sie mit dem ersten Anzeichen von Energie. »Ich habe die letzten acht Jahre unter Mörderinnen der einen oder anderen Sorte verbracht, und glauben Sie mir, das Motiv, das sie treibt, ist nicht Apathie. Man bringt Leute um, die man haßt, oder man tötet im Zorn oder um abzurechnen, aber man bringt nicht jemand um, der einem gleichgültig ist. Zu der Zeit, als Laurence starb, war er mir völlig schnuppe. Meine Liebe hörte schon auf, als ich zum erstenmal hinter die anderen Frauen kam. Ich brauchte halt eine Weile, um damit fertig zu werden...«
»Und darum ging es in dem Tagebuch?« fragte ich.
»Klar wollte ich es anfangs genau wissen. Ich habe jeden einzelnen Seitensprung genau verfolgt. Ich habe Telefongespräche mitgehört. Ich bin ihm durch die Stadt nachspaziert. Dann wurde er allmählich vorsichtiger mit der ganzen Sache, und ich verlor allmählich das Interesse. Es war mir scheißegal.«
Ihre Wangen hatten sich gerötet, und ich ließ ihr einen Augenblick Zeit, um sich zu fassen. »Ich weiß, es sah so aus, als hätte ich ihn aus Eifersucht oder aus Wut umgebracht, aber das berührte mich alles nicht. Zu der Zeit, als er starb, wollte ich nur noch in meinem eigenen Leben vorankommen. Ich wollte wieder auf die Schule gehen, mich um meine Angelegenheiten kümmern. Er ging seinen Weg, und ich ging meinen...« Ihre Stimme verklang.
»Was glauben Sie, wer ihn umgebracht hat?«
»Ich glaube, eine Menge Leute wollten’s gerne. Ob sie es getan haben oder nicht, ist eine andere Sache. Ich könnte ein paar kluge Vermutungen anstellen, aber ich habe keine Beweise. Deswegen bin ich ja hier.«
»Warum kommen Sie gerade zu mir?«
Wieder errötete sie leicht. »Ich habe es bei den zwei großen Agenturen in der Stadt versucht, und sie haben abgelehnt. In Laurences altem Rolodex stieß ich auf Ihren Namen. Ich dachte, es läge eine gewisse Ironie darin, jemanden zu engagieren, den er selbst mal engagiert hat. Aber erkundigt habe ich mich auch. Bei Con Dolan von der Mordkommission.«
Ich krauste die Stirn. »Das war doch sein Fall, oder?«
Nikki nickte. »Allerdings. Er sagte, Sie hätten ein gutes Gedächtnis. Ich hab’s nicht gern, wenn ich alles von ganz vom erklären muß.«
»Was ist mit Dolan? Hält er Sie für unschuldig?«
»Das bezweifle ich, aber andererseits habe ich meine Zeit abgesessen, also was geht’s ihn an?«
Ich musterte sie einen Augenblick. Sie war direkt und was sie sagte, hatte Hand und Fuß. Laurence Fife war ein schwieriger Mann gewesen. Ich hatte ihn selbst nicht sonderlich gemocht. Wenn sie zu Recht verurteilt worden war, leuchtete mir nicht ein, warum sie das alles jetzt wieder aufrühren sollte. Ihre Höllenfahrt war vorbei, und ihre sogenannte Schuld gegenüber der Gesellschaft war bis auf die Bewährungsfrist, die sie noch hatte, getilgt.
»Lassen Sie mich drüber nachdenken«, sagte ich. »Ich kann
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