Sommer unter dem Maulbeerbaum
1. KAPITEL
Er brauchte mich.
Jedes Mal wenn mich jemand - gewöhnlich ein Reporter - fragte, wie ich mit einem Mann wie Jimmy zurechtkäme, lächelte ich nur und sagte gar nichts. Ich hatte gelernt, dass alles, was ich sagte, doch nur falsch zitiert werden würde, also hielt ich einfach den Mund. Einmal beging ich den Fehler, einer Reporterin die Wahrheit zu sagen. Sie sah so jung aus und schien selbst noch so sehr auf der Suche, dass ich für einen Moment alle Vorsicht in den Wind schlug. Ich sagte: »Er braucht mich.« Das war alles. Nur diese drei Worte.
Wer hätte gedacht, dass eine Sekunde unachtsamer Aufrichtigkeit einen solchen Aufruhr auslösen könnte? Das Mädchen - eine reife Frau war sie jedenfalls noch nicht - hatte mit der Veröffentlichung und Ausschlachtung meines kurzen Satzes einen internationalen Tumult ausgelöst.
Ich hatte Recht mit der Vermutung, dass sie auf der Suche war. O ja, und wie. Sie war auf der Suche nach einer Story, also zimmerte sie sich eine zurecht. Dass sie nichts hatte, auf das sie ihr Ammenmärchen stützen konnte, spielte keine Rolle.
Sie recherchierte gründlich, das muss ich zugeben. In den zwei Wochen zwischen meiner Bemerkung und der Veröffentlichung ihrer Story kann sie kein Auge zugetan haben. Sie konsultierte Psychiater,
Selbsthilfe-Gurus und die Geistlichkeit. Sie interviewte Massen exzentrischer Feministinnen. Jede bekannte Frau, die irgendwann einmal angedeutet hatte, sie hasse Männer, wurde befragt und zitiert.
Am Ende wurden Jimmy und ich als perverses Paar hingestellt. Er war nach außen hin der herrschsüchtige Tyrann, daheim aber ein weinerliches Kleinkind. Ich wurde als eine Mischung aus Stahl und überfließender Weiblichkeit entlarvt.
Als der Artikel erschien und für großes Aufsehen sorgte, wollte ich mich nur noch vor der Welt verstecken. Ich wollte mich in das abgelegenste von Jimmys zwölf Häusern verkriechen und nie mehr hervorkommen. Doch Jimmy hatte vor nichts Angst - das war das wahre Geheimnis seines Erfolges. Er stellte sich den Fragen, dem höhnischen Gelächter und, was am schlimmsten war, den Psychotherapeuten, die es für ihre Pflicht hielten, seinen geheimsten Gedanken und Gefühlen auf den Grund zu gehen.
Jimmy legte einfach nur seinen Arm um mich, lächelte in die Kameras und beantwortete all ihre Fragen mit einem Lächeln. Was sie auch wissen wollten, er hatte immer einen Scherz parat.
»Stimmt es, Mr Manville, dass Ihre Frau die eigentliche Macht hinter der Krone ist?« Der Reporter, der diese Frage stellte, grinste mich auf gehässige Weise an. Jimmy war einsachtundachtzig und gebaut wie ein Stier - wofür ihn manche Leute tatsächlich auch hielten - und ich bin einssiebenundfünfzig. Ich habe noch nie ausgesehen wie die Macht hinter irgendjemandem.
»Sie trifft alle Entscheidungen. Ich bin nur ihr Strohmann«, sagte Jimmy und zeigte sein professionelles Lächeln. Doch diejenigen von uns, die ihn kannten, sahen die Kälte in seinen Augen. Jimmy gefiel es ganz und gar nicht, wenn etwas, das er als sein Eigentum betrachtete, herabgewürdigt wurde. »Ohne sie hätte ich es nicht geschafft«, verkündete er in seiner jovialen Art. Nur wenige Menschen kannten ihn gut genug, um zu erkennen, ob er nur scherzte oder ob es ihm ernst war.
Drei Wochen später traf ich zufällig den Fotografen, der den Reporter an jenem Tag begleitet hatte. Er war mir besonders sympathisch, weil er sich nie einen Spaß daraus machte, seinem Redakteur die Fotos von mir zu schicken, die mein Doppelkinn aus einem wenig schmeichelhaften Winkel zeigten. »Was ist aus Ihrem Freund geworden, der sich so für meine Ehe interessierte?«, fragte ich und versuchte, freundlich dabei zu klingen. »Gefeuert«, erwiderte der Fotograf. »Wie bitte?« Er legte ohne aufzublicken neue Batterien in seine Kamera ein. »Gefeuert«, wiederholte er. Dann sah er auf, schaute aber nicht mich, sondern Jimmy an.
Klugerweise sagte der Fotograf nichts weiter. Und klugerweise stellte ich keine Fragen mehr.
Zwischen Jimmy und mir bestand ein ungeschriebenes und unausgesprochenes Gesetz: Ich mischte mich in keine seiner Angelegenheiten ein.
»Wie eine Mafiafrau«, sagte meine Schwester etwa ein Jahr nach unserer Heirat zu mir.
»Jimmy bringt keine Leute um«, entgegnete ich verärgert.
An diesem Abend berichtete ich Jimmy von der Unterhaltung mit meiner Schwester. Einen Augenblick lang funkelten seine Augen auf eine Art, vor der ich damals noch nicht gelernt hatte, mich in Acht
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