Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
die seit acht Jahren kalt war.
    Bis ich zurück ins Büro kam, war es Viertel nach vier, und ich brauchte einen Drink. Ich holte eine Flasche Chablis aus meinem kleinen Kühlschrank und setzte den Korkenzieher an. Die beiden Becher standen noch auf dem Schreibtisch. Ich spülte sie aus und füllte meinen mit so trockenem Wein, daß mich beim Kosten ein ganz leiser Schauer überlief. Ich ging auf den Balkon und sah vom ersten Stock hinunter auf State Street, die mitten durch das Zentrum von Santa Teresa verläuft, schließlich einen großen Bogen nach links macht und in eine Straße mit anderem Namen übergeht. Auch von hier aus sah man überall spanische Fliesen und Stuckbögen und üppige Bougainvillea. Santa Teresa ist die einzige Stadt, von der ich je gehört habe, die ihre Hauptstraße verschmälert hat, die Bäume gepflanzt hat, anstatt sie auszureißen, und raffinierte Telefonzellen gebaut hat, die aussehen wie kleine Beichtstühle. Ich stützte mich auf das hüfthohe Geländer und schlürfte meinen Wein. Ich konnte das Meer riechen und schloß alles Denken aus, während ich die Fußgänger unten beobachtete. Ich wußte bereits, daß ich für Nikki arbeiten würde, aber ich brauchte diese wenigen Augenblicke für mich, ehe ich meine Aufmerksamkeit der bevorstehenden Aufgabe zuwandte.
    Um fünf fuhr ich nach Hause und verständigte, bevor ich ging, den Auftragsdienst.

    Von allen Orten, wo ich in Santa Teresa gewohnt habe, ist mein gegenwärtiges Plätzchen das beste. Es liegt in einer anspruchslosen Straße parallel zu dem breiten Boulevard, der entlang dem Strand verläuft. Die meisten Häuser in der Nachbarschaft gehören Rentnern, deren Erinnerung an die Stadt zurückreicht bis zu den Tagen, als sie noch ganz aus Zitrushainen und Kurhotels bestand. Mein Vermieter, Henry Pitts, ist ein ehemaliger Bäckermeister, der jetzt, mit einundachtzig Jahren, davon lebt, daß er abscheulich schwierige Kreuzworträtsel erfindet, die er gerne an mir ausprobiert. Gewöhnlich bäckt er auch noch Riesenschübe Brot, die er in einem alten Shaker-Trog auf der Sonnenterrasse nahe meinem Zimmer aufgehen läßt. Henry liefert Brot und andere Backwaren im Austausch gegen seine Mahlzeiten an ein nahe gelegenes Restaurant, und neuerdings ist er auch sehr gewieft in der Kunst, Gutscheine auszuschneiden. An einem guten Tag, behauptet er, kann er für fünfzig Dollar Lebensmittel kaufen, indem er nur 6 Dollar 98 ausgibt. Irgendwie scheinen diese Einkaufstrips jedesmal Strumpfhosen abzuwerfen, und die schenkt er mir. Ich bin halb verliebt in Henry Pitts.
    Das Zimmer selbst ist fünf Meter im Quadrat, ausgestattet als Wohnzimmer mit Schlafzimmer, Küche, Bad, Kleiderkammer und Waschgelegenheit. Ursprünglich war es einmal Henrys Garage, und ich bin bloß froh, daß es keinerlei Stuck, rote spanische Fliesen oder Kletterpflanzen aufweist. Es besteht aus Aluminiumwänden und anderen absolut künstlichen Materialien, die wetterfest sind und nie einen Anstrich brauchen. Die Architektur ist völlig unscheinbar. In diese gemütliche Höhle ziehe ich mich meistens nach Feierabend zurück, und von hier aus rief ich auch Nikki an und verabredete mich mit ihr auf einen Drink.

3

    Wenn ich mich herumtreibe, dann meistens in einer benachbarten Kneipe, die Rosie’s heißt. Das ist so ein Ort, wo man erst nachsieht, ob der Stuhl abgewischt werden muß, bevor man sich hinsetzt. In den Plastiksitzen sind kleine Risse, die Fädchen an der Unterseite von Nylonstrümpfen ziehen, und die Tische haben schwarze Formicaplatten mit handgravierten Worten wie »Hi«. Links über der Bar hängt ein staubiger Schwertfisch, und wenn die Leute sich betrinken, läßt sie Rosie mit Gummipfeilen aus einem Spielzeuggewehr darauf schießen, wodurch sie Aggressionen ablenkt, die sich sonst in bösen Kneipenschlägereien entladen könnten.
    Das Lokal gefällt mir aus verschiedenen Gründen. Es ist nicht nur in der Nähe meiner Wohnung, sondern es zieht auch nie Touristen an; das heißt, es ist meistens halb leer und eignet sich vorzüglich für Gespräche unter vier Augen. Außerdem ist Rosies Küche originell, eine Art Kochen auf Teufel komm raus mit ungarischem Touch. Bei Rosie tauscht Henry Pitts auch die Backwaren ein, so daß ich obendrein noch sein Brot und seine Pasteten zu essen bekomme. Rosie ist in den Sechzigern, mit einer Nase, die fast ihre Oberlippe berührt, einer niedrigen Stirn und gefärbten Haaren in einem bemerkenswerten Rostbraun, das der Farbe von

Weitere Kostenlose Bücher