Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
sein, in jedem Schatten stehen. Ich watete auf das seichte Ufer zu, wo sich die Wellen noch kniehoch kräuselten und dann über meine Füße hinwegspülten. Schließlich war ich wieder auf nassem Sand und bewegte mich leise auf den Platz zu, während ich angestrengt im Dunkel nach ihm Ausschau hielt. Er konnte nicht überall gleichzeitig suchen. Ich kauerte mich hin, wandte den Blick nach links. Jetzt, da ich zur Bewegungslosigkeit gezwungen war, holte die Angst mich wieder ein; Eis breitete sich über meine Lungen, der Puls klopfte mir im Hals. Ich schlüpfte aus meinen nassen Jeans und Schuhen — leise, sachte.
    Der Kiosk lag direkt vor mir: ein gedrungener Schlackensteinbau, die Fenster waren für die Nacht versperrt. Ich bewegte mich nach rechts, durch pulvrigen Sand, in dem ich bis zu den Knöcheln einsank, so daß ich auf dem Land mehr Mühe hatte als im Wasser. Ich schrak zusammen. Da war er — nur eine Idee links von mir. Wieder ging ich in die Hocke, fragte mich, wie weit ich sichtbar war. Ich ließ mich flach auf den Bauch herunter und zog mich auf den Ellenbogen vorwärts. Ich erreichte das schützende Dunkel der Palmen, die auch um diese Zeit noch deutliche Schatten in die graue Nacht warfen. Ich spähte nach links und entdeckte ihn wieder. Er trug ein weißes Hemd, dunklere Hosen. Er verschwand im Schatten, als er in den Palmenhain trat, in dem die Picknicktische aufgestellt waren. Das Meer war stiller geworden, ein zischender Hintergrund zu unserem kleinen Katz-und-Maus-Spiel. Zu meiner Rechten war ein länglicher Müllcontainer mit einem Klappdeckel. Ich hörte Charlies Wagen starten und blickte überrascht zurück. Vielleicht fuhr er weg. Vielleicht dachte er, er hätte mich verpaßt, und wollte jetzt los, um mich weiter unten am Strand abzufangen. Als er zurückschwenkte, um zu drehen, schoß ich auf den Müllcontainer zu, hob mit einem Ruck den Deckel und zog mich über den metallenen Rand in den Wust aus Pappbechern, weggeworfenen Picknickbeuteln und Schmutz. Mit der Kehrseite erkämpfte ich mir einen Platz und schob meine bloßen Beine hinunter in den Abfall, wobei ich angewidert die Nase rümpfte. Mein rechter Fuß berührte etwas Kaltes und Klebriges, und der Müll unter mir fühlte sich warm an wie ein Komposthaufen, schwelend von Bakterien. Ich schob mich ein wenig hoch und spähte über die Schulter durch den Spalt zwischen dem Berg angesammelten Unrats und dem etwas schräg aufsitzenden Deckel. Charlies Wagen bewegte sich auf mich zu, die Scheinwerfer schnitten direkt über mein Versteck. Ich duckte mich; mein Herz klopfte derart, daß mir die Augen herausquollen.
    Er stieg aus, ließ die Scheinwerfer an. Von da, wo ich kauerte, konnte ich noch den Widerschein der Lichtkegel sehen. Er schlug die Wagentür zu. Ich konnte seine Schritte über den Beton scharren hören.
    »Kinsey, ich weiß, daß du hier irgendwo bist«, sagte er.
    Ich versuchte mich nicht zu rühren. Versuchte nicht zu atmen.
    Stille.
    »Kinsey, du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben. Mein Gott, weißt du das denn nicht?« Sein Ton war eindringlich, sanft, überredend, verletzt.
    Bildete ich mir alles nur ein? Er klang so wie immer. Stille. Ich hörte, wie seine Schritte sich entfernten. Langsam und vorsichtig setzte ich mich auf, spähte durch den Spalt. Er stand zehn Meter von mir entfernt und schaute hinaus auf den Ozean, sein Körper war reglos, halb abgewandt. Er drehte sich um, und ich tauchte weg. Ich konnte Schritte näher kommen hören. Ich schrak zurück, hob mit zitternden Händen die Pistole hoch. Vielleicht war ich verrückt. Vielleicht machte ich mich lächerlich. Ich haßte Versteckspielen. Als Kind war ich darin nie gut gewesen. Ich sprang immer gleich raus, wenn einer nah herankam, weil ich mir vor Spannung bald die Hosen naßmachte. Ich fühlte Tränen aufsteigen. O Himmel, bloß jetzt nicht, dachte ich fiebernd. Die Furcht war wie ein scharfer Schmerz. Mein Herz tat bei jedem Schlag weh und ließ das Blut in meinen Ohren pochen. Sicher konnte er das hören. Sicher wußte er jetzt, wo ich war.
    Er hob den Deckel. Die Strahlen seiner Scheinwerfer leuchteten auf seiner goldenen Wange. Er blickte zu mir herüber. In seiner rechten Hand lag ein Schlachtermesser mit einer fünfundzwanzig Zentimeter langen Klinge.
    Ich pustete ihn weg.

    Die Polizei von Santa Teresa führte eine kurze Untersuchung durch, aber am Ende wurde keine Beschuldigung erhoben. Der Ordner über Laurence Fife enthält den Bericht,

Weitere Kostenlose Bücher