Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
und heiß. Er war drahtig, mit dunklem Schnurrbart und großen, dunklen Augen, aus denen Intelligenz sprach. Er mußte Anfang Vierzig sein. Ich fragte mich, mit welcher Schwester er verheiratet war.
»Um welches Problem geht es? Kann ich helfen?«
Ich erzählte ihm kurz, warum ich hier war, und berichtete auch, daß Lance Wood mich ohne ein Wort der Erklärung verlassen hatte.
»Warum zeige ich Ihnen nicht einfach das Lagerhaus?« schlug er vor. »Dann können Sie sich wenigstens den Ort des Brandes ansehen. Ich nehme an, das gehört auch zu Ihren Aufgaben.«
»Das wäre nett. Ist sonst irgend jemand hier draußen berechtigt, mir die Information zu geben, die ich benötige?«
Terry Kohler und Ava Daugherty wechselten einen Blick, den ich nicht deuten konnte.
»Da warten Sie besser auf Lance«, meinte er. »Moment, vielleicht kann ich herausbekommen, wohin er gegangen ist.« Er ging ins andere Büro hinüber.
Ava und ich mieden Small Talk. Sie öffnete die obere rechte Schreibtischschublade und holte eine Tube Crazy Glue hervor. Sie ignorierte mich betont auffällig, als sie die Spitze abknipste und einen durchsichtigen Tropfen auf ihren gesprungenen Nagel drückte. Sie runzelte die Stirn. Ein langes, dunkles Haar hatte sich im Klebstoff verfangen, und ich beobachtete ihren Kampf, als sie es herausziehen wollte.
Ich schaltete mich in die Unterhaltung ein, die drei Ingenieure hinter mir führten. Es handelte sich um eine Diskussion über das Problem, das vor ihnen lag. Da ich davon ohnehin nichts verstand, schaltete ich mich wieder aus.
Noch weitere zehn Minuten vergingen, ehe Terry Kohler wieder auftauchte. Er schüttelte in offensichtlicher Verzweiflung den Kopf.
»Ich weiß nicht, was hier vorgeht«, sagte er. »Lance mußte wegen eines Notfalls fort, und Heather ist immer noch nicht wieder an ihrem Platz.« Er hielt ein Schlüsselbund hoch. »Ich bringe Sie zum Lagerhaus hinüber. Sagen Sie Heather, daß ich die Schlüssel hab’, wenn sie wieder auftaucht.«
»Ich muß meinen Fotoapparat holen«, meinte ich. »Er ist in meiner Handtasche.«
Er trabte geduldig neben mir her in Lance Woods Büro, wo ich meine Kamera holte, meine Brieftasche in meinen Beutel steckte und die Handtasche ließ, wo sie war.
Zusammen gingen wir dann wieder durch das Vorzimmer und die anderen Büros. Niemand sah auch nur auf, als wir vorbeigingen, aber neugierige Blicke folgten uns stumm. Ich mußte an diese Porträts denken, bei denen man auch immer den Eindruck hat, die Augen würden sich bewegen.
Die Montagearbeit wurde in einem großen, gut belüfteten Bereich der hinteren Hälfte des Gebäudes geleistet. Die Wände bestanden hier aus Wellblech, der Boden aus Beton.
Wir blieben nur einmal stehen, als Terry mich einem Mann namens John Salkowitz vorstellte. »John ist Chemieingenieur und Berater«, erkärte er mir. »Er ist seit Sechsundsechzig bei uns. Wenn Sie irgendwelche Fragen bezüglich hoher Temperaturen haben, dann ist er Ihr Mann.«
Aus dem Stegreif fiel mir keine ein — aber Terry ging auch schon weiter auf die rückwärtige Tür zu, und ich trottete hinter ihm her.
Rechts von uns lag eine doppelbreite Schiebetür aus Stahl. Sie ließ sich nach oben schieben, um eintreffende Ladungen zuzulassen oder um die Teile zu verladen, die versandfertig waren. Wir traten auf die Straße hinaus und liefen auf die andere Seite hinüber.
»Mit welcher der Wood-Schwestern sind Sie verheiratet?« erkundigte ich mich. »Ich bin mit Ash zur Schule gegangen.«
»Mit Olive«, antwortete er lächelnd. »Wie war doch Ihr Name?«
Ich sagte es ihm, und für den Rest des kurzen Weges unterhielten wir uns, verstummten erst, als die verkohlten Überreste des Lagerhauses in Sichtweite kamen.
3
Ich brauchte drei Stunden, um die Stätte des Brandes zu untersuchen. Terry machte sich die Mühe, die Vordertür aufzusperren, obwohl das angesichts der Zerstörung, die das Feuer angerichtet hatte, lächerlich schien. Der größte Teil der äußeren Hülle des Gebäudes stand noch, aber der erste Stock war eingestürzt, lag jetzt im Erdgeschoß, und das Ergebnis war eine nahezu undurchdringliche Masse aus geschwärztem Müll. Die Scheiben der Fenster im ersten Stock waren durch die Hitze gesprungen. Metallrohre lagen frei, viele von ihnen verbogen durch das Gewicht der nach innen einstürzenden Mauern. Was an erkennbaren Gegenständen blieb, war auf abstrakte Umrisse reduziert worden. Farben oder sonstige Details waren nicht mehr zu
Weitere Kostenlose Bücher