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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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und durch das Gartentor trat. In Henrys Küche brannte noch Licht, aber ich widerstand der Verlockung, bei ihm reinzuschauen. Er würde darauf bestehen, mir etwas zu essen vorzusetzen, mir einen anständigen Chardonnay einzuschenken und mich mit dem neuesten Klatsch und Tratsch zu versorgen. Er ist zweiundachtzig und Bäcker im Ruhestand und hat es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, die alten Damen in unserem Block mit Gebäck für ihre Tee-Kränzchen zu beliefern. Nebenbei verfasst er diese kleinen Kreuzworträtselheftchen, die man an Supermarktkassen findet, voller Wortspiele und Bonmots. Und wenn er gerade weder das eine noch das andere tut, dann schimpft er mich wegen meiner Lebensführung, die in seinen Augen nicht nur gefährlich, sondern auch viel zu unkultiviert ist.
    Ich schloss meine Wohnungstür auf, trat ein und knipste eine der Tischlampen an. Ich legte meine Handtasche auf die Küchenbar, die meine Kochnische von dem als Wohnzimmer vorgesehenen Teil des Raums abtrennt. Das Haus war total neu wieder aufgebaut worden, nachdem eine Bombenexplosion es dem Erdboden gleichgemacht hatte. Ich hatte bis zur Beendigung der Bauarbeiten bei Henry gewohnt und war an meinem Geburtstag im letzten Mai wieder in mein Apartment eingezogen. Und es war wirklich ein Wunder, wie ein Piratenschiff, überall Teak und Messing, mit einem Bullauge in der Tür und einer Wendeltreppe nach oben unters Dach, wo ich jetzt unter einem sternengesprenkelten Atelierfenster schlafen durfte. Mein Bett war ein Podest mit eingebauten Schubladen. Unten hatte ich meine kleine Koch-Kombüse, eine Nische mit Waschmaschine und Huckepack-Trockner, ein Wohnzimmer mit einem Sofa, das man zum Gästebett aufklappen konnte, und ein kleines Gästebad. Oben befand sich ein Bad mit eingelassener Badewanne, einem Dschungel von Zimmerpflanzen auf dem Fensterbrett und mit Blick durch die Baumwipfel auf ein Zipfelchen Meer.
    Überall gab es kleine Nischen und Fächer, Schränke, Klappen und Kleiderhaken. Henry hatte das Ganze selbst entworfen und sich ein diebisches Vergnügen daraus gemacht, meine persönliche Umgebung zu gestalten. Der Teppich war königsblau, das Mobiliar schlicht. Auch nach zwölf Monaten wanderte ich noch wie eine Blinde in meiner Wohnung herum, um alles zu betasten, darüber zu staunen, wie es sich anfühlte, den Holzgeruch einzusaugen. Nach dem Tod meiner Eltern war ich von einer ledigen Tante aufgezogen worden, einer Frau, deren Verhältnis zu mir eher auf theoretischem Anspruch als auf Zuneigung beruhte. Ohne es auszusprechen, vermittelte sie mir das Gefühl, dass ich nur auf Bewährung da war, so wie eine Matratze, die man zurückgibt, wenn die Klumpen sich nicht ausliegen. Man musste ihr lassen, dass ihre Vorstellungen von Kindererziehung zwar exzentrisch, aber durchaus vernünftig waren und dass ich von dem, was sie mir über die Welt beigebracht hat, sehr profitiert habe. Aber ich habe mich die meiste Zeit meines Lebens als Eindringling gefühlt und immer nur auf Zwischenstation, so lange, bis ich wieder weitermusste. Jetzt jedoch hatte sich meine Innenwelt verändert. Das hier war mein Zuhause, hier war ich daheim. Das Apartment war zwar nur gemietet, aber ich hatte ein Wohnrecht auf Lebenszeit. Das war ein merkwürdiges Gefühl, und ich konnte dem noch nicht recht trauen.
    Ich stellte meinen kleinen Schwarzweißfernseher an, damit mir der Ton Gesellschaft leistete, während ich herumwerkelte und mir etwas zu essen machte. Ich hockte mich an die Küchenbar, auf einen hohen Barhocker, und kaute mein Sandwich, während ich die Akte durchblätterte, die Vera mir gegeben hatte. Da waren Kopien der Original-Schadensmeldung — ein Autounfall mit Personenschaden ohne Fremdbeteiligung ein Bündel Arztrechnungen, ein paar Briefe und eine beigeheftete kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte. Die Sachbearbeiterin, Mary Bellflower, hatte diese Schadensmeldung aus verschiedenen Gründen als suspekt ausgemustert. Die Verletzungsfolgen waren von der ungreifbaren Sorte, subjektiv, unüberprüfbar. Miss Diaz klagte unter anderem über plötzlich einschießende Schmerzen im Nacken, Kopfschmerzen, Benommenheit, Kreuzschmerzen und Verspannungen. Die Reparaturkosten für das Auto waren auf fünfzehnhundert Dollar veranschlagt. Dazu kamen Arztrechnungen über insgesamt zweitausendfünfhundert Dollar (alles Kopien von Kopien, was es durchaus möglich erscheinen ließ, dass sie ein bisschen an den Zahlen herummanipuliert hatte). Zudem machte sie

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