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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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Leichenwäscher öfter so. Irgendwo, glaubt er, jedes fremde Gesicht schon einmal gesehen zu haben, vielleicht weil er Sehnsucht nach dem Metaphysischen im Leben hat.
    Der Engel hält es nicht mit der Metaphysik. »Ist die Stelle noch frei?«
    »Was?«
    »Die Stelle«, kommt es ungeduldig und mit tastender, beschwipster Stimme von Karla. Sie löst eine Hand unter dem Welpenbauch und deutet auf das Schild, das an einem Fetzchen Tesafilm von Kwiatkowskis rechter Hand baumelt.
    Was will so eine in so einem Kiosk, fragt sich Kwiatkowski, als er schon den Mund öffnet und »Ja« sagt. Karla hört gar nicht hin, sie ist ganz bei der Musik, die wieder über die Gasse hinwegbraust wie ein Schwarm Helikopter.
    »Die Walküren«, sagt sie, »schöne Aufnahme. Die Wiener Philharmoniker?« Sie redet jetzt, als müßte sie etwas unter Beweis stellen, das geht ihr flüssig von der Zunge, aber sie redet zusammenhangloses Zeug. »Am schönsten sind die Wagneraufhahmen von Glenn Gould. Kurz vor seinem Tod hat er das Siegfried-Idyll auf dem Klavier eingespielt. Haben Sie das schon mal gehört?« Sie schweigt kurz, ihre Stimme flattert, als sie sagt: »Das ist die traurigste Musik, die ich kenne. So herz ...« Sie bricht ab, für ein Wort wie herzzerreißend ist sie nicht mehr nüchtern genug, und wenn sie nüchtern wäre, nähme sie es nicht in den Mund. Sie schafft nur ein »hinreißend«.
    Kwiatkowski nickt, obwohl er gar nichts darüber weiß und nicht mal mitbekommt, was sie sagt. In seinem Kopf läuft wie eine Endlosschleife immer nur die Frage: »Was will so eine im Kiosk?« Er formuliert es laut ein bißchen verbindlicher. »Warum wollen Sie so einen Job annehmen? Ich meine, so wie Sie...« Er macht eine Pause, das Wort aussehen ist zu schwach.
    Karla sieht nicht einfach gut aus, vielleicht sieht sie nicht einmal gut aus, das weiß er im Moment nicht, will sich auch gar nicht entscheiden. Erscheinungen beurteilt er nicht nach ihrem Aussehen, dazu hatte er davon bislang zu wenig. Schädel kennt er genauer. Ihrer ist sehr fein, vor allem der Jochbogen und die Schläfenbeine.
    »Ich meine, was wollen Sie hier, so wie Sie sind«, schließt er endlich. Er würde gerne die blonde Strähne aus dem Hundemaul befreien. Die gehört da nicht hin.
    Karla kichert angeschickert in den Welpenpelz. »So wie ich bin? Wie sind Sie denn? Hört Wagner und stellt kreuzblöde Fragen.« Sie holt tief Luft und ist wieder die andere, die sich atemlos um etwas bewerben muß. »Glauben Sie, daß man seinem Schicksal entkommen kann? Daß man irgend etwas in seinem Leben selbst bestimmt?« Sie schaut ihn eindringlich an.
    »Alles«, sagt er knapp.
    »Sie irren sich, Sie irren sich gewaltig.«
    Kwiatkowski ist ratlos. Karla wird trotzig. »Ich weiß, wie betrunken ich bin, aber ich will den Job auf jeden Fall, wegen der Walküren. Das ist nämlich ein Zeichen. Hab ich drauf gewartet.« Sie macht eine Pause, schluchzt plötzlich auf, was ein ganz jämmerliches Geräusch und ihr peinlich ist. »Zu lange.« Sie dreht sich plötzlich um und läuft stolpernd in Richtung von Krahwinkels City-Apartments.
    Wohnt also in der Leichenhalle, registriert Kwiatkowki enttäuscht. Nüchtern wird sie unerträglich sein, denkt er, und Betrunkene mag er auch nicht. Es spricht also nicht viel für sie. Höchstens die Walküren. Daß er die eben noch verflucht hat, ist ihm entfallen.
    Womit der Antiquar unfreiwillig in eine Geschichte hineingeraten ist, die er nie erzählen würde. Ausgerechnet der Walküren wegen. »Da kannste mal sehen«, würde Jakob frohlocken, »das Leben hat eben doch seine Pointen«, und würde sich ins Fäustchen lachen. Erst recht, wenn er noch hören könnte, daß direkt nach den Walküren die ersten Töne vom Liebestod in die Gasse hinabtaumeln wie die Birkenpollen aus dem Fenster vom Dachdecker. Der Antiquar ist über den Walküren eingeschlafen, und die Platte läuft erbarmungslos weiter, obwohl er Tristan und Isolde noch viel weniger mag als den Walkürenritt. Und darin würde Kwiatkowski ihm recht geben.
    So wie er jetzt dasteht, umwogt vom an- und abschwellenden Überschwang der Oboen und den wehmütigen Geigen kommt er sich ziemlich lächerlich vor. Er verzieht sich hinter sein Rollgitter.
    Nikita hingegen verharrt wie angewurzelt vor dem Gründerzeithaus, in dem sie gar nicht wohnt, sondern zwei Nummern weiter in den Festungshäusern. Es gehört zu ihrem Schutzritual, hier vorm Fenster der Rosenkreuzer neun Kreuze zu schlagen. Sie läßt die

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