Kiosk
Hand beim achten sinken, als der Liebestod anhebt. So süße Musik hat sie noch nie gehört. Als habe die blonde Frau sie aus ihrem Mantel geschüttelt. Zu der paßt die Musik.
Nikita schaut dankbar in das Fenster der Rosenkreuzer. Das blasse Plakat vom Gott und dem Licht ist weg. Statt dessen hängt dort ein Gemälde von einem Regenbogen, der sich grellbunt über ein Meer von Menschen wölbt, die sich die Haare raufen und entsetzlich schreien und jammern. Das sieht ganz schrecklich aus, findet Nikita. Darunter steht: Fürchtet euch nicht und erinnert sie an das, was Marion Kratz, die Enkelin von der alten Quittländer, über den Schutzpatron der nahgelegenen Kirche erzählt hat. Sankt Pantaleon heißt der, und dem haben Heiden die Arme auf den Kopf genagelt, weil er an Gott geglaubt hat, und darum ist er heilig geworden.
Die Musik dahinten ist besser, tut aber ein bißchen weh. Ein letztes Kreuz wird geschlagen, dann darf sie rauf zu Mutti und ihrem Besuch. Es ist ausnahmsweise keiner von den klapperdürren Kerlen, die ihr immer über die schwarzen Haare streicheln und gerührt »Pjotr« murmeln, wenn sie nicht gerade ganz hektisch sind und fürchterlich zittern und dringend ins Bad müssen, um sich Spritzen dagegen zu geben, oder reglos an die Decke starren. Wenn sie an die Decke starren, sind sie Nikita am liebsten, dann könnten sie tot sein und Pjotr wegen des Eckenflüsterers Bescheid sagen.
Schließlich ist Pjotr ihr Vater und würde was tun, wenn er Bescheid wüßte. Vielleicht ist er sogar ein Heiliger, denn er hat viel Kummer gehabt, bevor er starb, hat ihre Mutter gesagt. Der jetzt im Bett bei ihr Hegt, riecht schlecht und hat Muskeln. Spritzen braucht er nicht, nur Tabletten in Silberpapier. Manchmal muß er nachts weg, danach bringt er Pizzakartons mit, die machen Fettflecken auf der Bettwäsche.
Nikita wünscht sich was, während sie die Haustür aufschließt. Sie will die blonde Frau wiedersehen. Ganz bald. Wird wohl ein paar Gebete kosten, egal, die kann sie auch unter der Bettdecke beten. Der liebe Gott sieht alles.
2
A m nächsten Morgen stehen die Mäusemilchtrinker am Cappuccinoautomaten und reden übers Haarefärben. Das tun sie, weil der Cappuccinoautomat im neuen Drogeriemarkt steht und umsonst Kaffee ausspuckt, sofern man Kunde ist. Der Dachdecker spielt den Kunden sehr engagiert oder »arrangiert«, wie er sagen würde, weil er es nicht so hat mit Fremdwörtern, sie aber der Bildung wegen gern einstreut. Er wirft sich doll in die Brust und deklamiert mit der Verve eines alten Bühnenkünstlers blumige Sprüche zum Thema Haartönungen und Tönungswäschen und Cremefarben, über all das, was er auf die Entfernung so von den Packungen und Werbetafeln im gegenüberliegenden Regal entziffern kann. »Wirklich brillante Farben, und dabei legt sich ein glättender Schutzfilm um das einzelne Haar.«
Das macht er, solange ihn diese Kitteltante beäugt, die nebenan Lidschatten einsortiert, »Outer Space für außergewöhnliche Augenblicke«. Er ist so gut, findet er, daß niemandem auffallen kann, wie schäbig der unrasierte Kalle in seinem zerlöcherten Norwegerpullover, den ölverschmierten Hosen und den vor zwei Tagen hier geklauten Saunalatschen aussieht. Der schmutzige Buddy geht mit seiner eingedrückten Visage einfach als bekloppt durch und muß nicht an normalen Sauberkeitsmaßstäben gemessen werden.
»Buddy hat’s gut, der ist doof«, pflegt Kalle zu sagen, der zu jener Eifersucht neigt, die gewöhnlich Geschwister untereinander hegen.
Der Dachdecker trägt Blaumann und die feste Überzeugung zur Schau, daß sein breites Kreuz imposant auf Frauen wirkt. Er räkelt sich in Richtung Kitteltante, daß ihm die Knochen knacken und sein Bauch sich vorschiebt. Verwegen blinzelt er der Kitteltante zu. Die schießt angewiderte Blicke zurück. Der Dachdecker gerät kurz aus dem Konzept.
»Ich schmier mir doch keine Farbe in die Matte«, empört sich Kalle, als er merkt, daß dem Vordenker der Stoff auszugehen scheint, und Buddy murmelt zuvorkommend »Kafa, kafa«.
»Brauchst keine Farbe für«, wendet sich der Dachdecker vorwurfsvoll an Kalle und Buddy. »Weil da gibt’s jetzt ganz was Neues, Tolles für Männer.« Er kneift die Augen zusammen und studiert eine Reklamepappe. »Also, da kehrste einfach zu deiner natürlichen Haarfarbe zurück, in nur vier Wochen, darauf gibt es die Polyester-Garantie für Farbechtheit und...«
Buddy pustet in seinen Cappuccino, daß es blubbert und der
Weitere Kostenlose Bücher