Kirschenküsse
bemühte ich mich wenigstens um ein Lächeln. Das fiel mir auf Fotos immer total schwer.
»Ach Mist, jetzt hast du die Augen zu«, murrte Klara.
»Dann lass doch, ich brauche kein Foto«, sagte ich schnell, doch Klara bestand darauf.
»Du siehst so gut in dem Kleid aus, da muss ich unbedingt ein Bild von dir haben!«, bestand sie. »Mama wird das auch finden.«
»Ich denke, deine Mutter soll nicht mitbekommen, dass du die Kleider geborgt hast.« Nun musste ich doch etwas grinsen.
»Mist, stimmt ja. Na ja, auf jeden Fall wäre es für dich eine schöne Erinnerung an diesen Nachmittag, denn wann wirst du wieder das Vergnügen haben, ein Kleid aus der Werkstatt meiner Mutter zu tragen?«
»Will deine Mutter denn keine Lolitakleider mehr verkaufen?«, fragte Ivy entsetzt.
Klara schüttelte traurig den Kopf. »Sie will auf Abendmode umsatteln. Dummerweise sollen diese Kleider hier versteigert werden. Sicher an Leute, die nichts davon verstehen und sie kaufen, um ihre Enkelinnen hineinzuzwängen, die wahrscheinlich gar nichts mit Lolitamode am Hut haben. Für Mädchen wie uns sind die Sachen leider viel zu teuer.«
Da ich spürte, wie wichtig es ihr war, sagte ich kurzerhand: »Okay, dann mach das Foto.«
Anderthalb Stunden später hatte ich zehn wunderbare Stoffproben und einen Ausdruck meines Bildes im Lolitakleid in der Tasche und noch mehr Ideen im Kopf. Ich war total aufgedreht und hatte mich plötzlich so von Ivy und Klara anstecken lassen, dass ich darüber nachdachte, mir selbst so ein Kleid zu nähen. Nur aus Spaß, um das Nähen zu üben, nicht um das Kleid auf der Straße zu tragen. Keine Ahnung, woher ich Stoff dafür bekommen und auf welcher Maschine ich es nähen sollte, aber träumen war wenigstens kostenlos.
Ich schwebte gerade durch das Gartentor, als es mir siedend heiß einfiel. Mona! Wir wollten uns doch am Brunnen treffen!
Ich blickte auf meine Uhr. Zehn nach vier! Verdammter Mist!
Da der Weg zu Fuß mehr als eine halbe Stunde dauerte, entschied ich mich fürs Fahrrad. Wie eine Irre raste ich die Wege entlang, fuhr beinahe eine alte Frau an, die mit ihrer Gehhilfe unterwegs war, und fing mir das wütende Hupen eines Motorradfahrers ein, vor dem ich über die Straße schoss.
Mein Herz raste wie verrückt, als ich endlich den Brunnen erreichte. Ein paar Leute, die vorbeiflanierten, starrten mich mit großen Augen an, doch ich sah nur die leere Bank. Mona hatte nicht auf mich gewartet. So ein Mist!
Rasch zog ich mein Handy aus der Tasche. Diesmal hatte sie nicht versucht, mich zu erreichen. Hätte ich sie doch vorm Losfahren angerufen! Ich wählte ihre Nummer und ließ es endlos klingeln, doch sie nahm nicht ab. Deshalb schrieb ich ihr eine SMS:
»He, Mona, tut mir leid! Wo bist du? Warte jetzt am Brunnen.«
Dann setzte ich mich auf die Bank und wartete bang auf eine Antwort. Ein paar Kinder rannten vorbei, eine Gruppe Punks leinte ihre Hunde an den Radständer vor der Drogerie an und stellte sich neben den Eingang. Keine Mona. Und auch keine Antwort. Hatte sie ihr Handy vielleicht abgeschaltet? Wieder und wieder zog ich meins aus der Tasche, doch dadurch konnte ich auch keine Nachricht hineinhexen.
Als es schließlich kurz vor fünf war, gab ich auf. Beklommen stieg ich auf mein Rad und fuhr los, diesmal in einem gemächlichen Tempo. Unterwegs schaute ich noch beim Verwaltungsgebäude vorbei, wo wir oft rumsaßen und Leute beobachteten, doch auch dort war keine Spur von Mona. Sollte ich einfach bei ihr vorbeifahren? Doch sie hatte sich bisher nicht gemeldet, vielleicht wollte sie mich nicht sehen …
Als ich nach Hause kam, klapperte Mama in der Küche mit den Töpfen. Aus Papas Arbeitszimmer drangen Tippgeräusche. Wahrscheinlich setzte er wieder ein Bewerbungsschreiben auf.
»Hallo, Sina, warst du wieder bei Mona?«
Wahrscheinlich hätte sie mich dort zuerst gesucht, wenn ich abhandengekommen wäre.
»Nein, ich war bei Ivy«, entgegnete ich niedergeschlagen.
»Ivy?«
»’ne Klassenkameradin. Sie hat mir bei meiner Bewerbung fürs Sommercamp geholfen.«
»Ach so! Essen ist bald fertig.«
Ich verschwand in meinem Zimmer, wo ich die Stoffmuster hervorzog und die Mappe mit meinem Entwurf auf den Tisch klatschte. Meine Freude war eindeutig getrübt. Wegen dieses Entwurfs und vor allem wegen des blöden Rüschenkleids hatte ich Mona versetzt. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich die Ausschreibung nicht gefunden hätte.
Deprimiert setzte ich mich auf mein Bett und starrte
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