Kirschenküsse
Zusage. Es war nicht jedermanns Sache, nachts zwischen Tiefkühlpizzakartons herumzulaufen, aber meinem Paps machte das nichts aus. Arbeit schändet nicht, sagte er immer, ein Motto, das diesmal was eingebracht hatte. Sie hatten mir diese tolle Nachricht als Willkommensgruß überreichen wollen, statt mir nur eine SMS zu schreiben, und ich musste sagen, ich hätte mir keinen besseren Empfang vorstellen können.
Als unser Haus vor uns auftauchte, wurde mir auf einmal warm ums Herz. Die Straßenlampen gaben der Fassade einen orangefarbenen Schimmer, hinter den Fenstern der unteren Etage flimmerte irgendeine Sendung.
Es war doch schön, wieder zu Hause zu sein – und dann noch mit so tollen Neuigkeiten!
Froh, schließlich wieder in meinem eigenen Zimmer zu sein, ließ ich meine Tasche aufs Bett plumpsen. Das war ein Camp gewesen!
Als ich mich ebenfalls erschöpft auf mein Bett fallen ließ, kippte meine Tasche um und mein Handy fiel auf mich drauf.
Im Reisebus hatte ich die ganze Zeit mit Anett gequatscht und deshalb gar nicht draufgeschaut, eigentlich aber auch keine Nachricht erwartet. Mein Brief an Mona war wahrscheinlich noch nicht angekommen, aber sollte ich ihr trotzdem noch einmal schreiben?
Als ich die Tastatursperre löste, sah ich, dass ich doch eine Nachricht bekommen hatte. Hm, von Thomas vielleicht?
Sogleich klopfte mir das Herz bis zum Hals. Mit zitternden Fingern öffnete ich sie und riss die Augen auf, als ich erkannte, von wem sie kam.
»Bin so ein Hornochse. Hab gestern deinen Brief bekommen. Lass uns morgen reden, ja?«
Klar, die stammte von Mona!
Ich stieß einen kleinen Jubelschrei aus. Dass der Brief schon da war, war echt klasse! Und noch besser war, dass er Mona davon überzeugt hatte, dass nichts unsere Freundschaft kaputt machen konnte. Kein Junge, kein Sommercamp, kein noch so modisches Kleid!
Ich antwortete umgehend und fragte mich plötzlich, ob die Münzen im Muschelbrunnen doch Wünsche erfüllen konnten. Ob nun die Muschel getroffen wurde oder nicht.
Wenn einer eine Reise tut …
»Du willst also wirklich mit zu Ivy?«, fragte ich Mona, als wir in die Gartenstraße einbogen. Seit meiner Rückkehr hatten wir uns jeden Tag gesehen und ausgesprochen und ich war sehr glücklich darüber.
»Klar, warum nicht? Du schämst dich doch nicht für mich, oder?«
»Red keinen Quatsch!«, gab ich zurück, während ich den Kleidersack auf meiner Schulter zurechtrückte. Gestern war mein fertig genähtes Modell gekommen und ich fühlte mich verpflichtet, es im Beisein von Ivy zu enthüllen – und ich wollte es ihr auch schenken. Immerhin hatte ich ihr die Reise zu verdanken. »Die ist netter, als alle denken. Und sie kann ganz toll nähen.«
Noch immer wucherte an Ivys Haus der Efeu, aber zu Beginn der Ferien hatte sich ihre Mutter wohl zu einem spontanen Neuanstrich der Fensterrahmen entschlossen. Pink war die auserwählte Farbe. Ich hoffte nur, dass wir beim Eintreten nicht erblindeten, weil eine neue leuchtende Farbe die Wand zierte.
Diesmal öffnete Ivys Mutter die Tür.
Der Geruch nach Schweinebraten und Rotkohl waberte uns entgegen, und die Küchenschürze, die sie sich umgebunden hatte, strahlte in den schillerndsten Farben.
Strahlend war auch das Lächeln, mit dem sie uns bedachte. Sie kannte uns nicht, genauso gut hätten wir versuchen können, ihr ein Zeitungsabo anzudrehen. Aber sie war offenbar so ein fröhlicher Mensch, dass sie sich erst einmal über jeden Besucher freute.
»Guten Tag, Frau Meier, wir würden gern zu Ivy!«
»Aber klar doch. Kommt rein! Möchtet ihr ein Glas Apfelsaft? − Ivy, deine Freundinnen sind da!«
Das alles sagte sie, ohne zwischendurch Luft zu holen. Dann verschwand sie, ohne eine Antwort abzuwarten, in der Küche. Aber das alles passte zu einer Frau, die in ihrem Haus sämtliche Farben, die es auf der Welt gab, versammelt zu haben schien.
Ivy ließ sich schließlich an der Treppe blicken. Ihre Miene wirkte ein wenig verwundert, gleich so, als sei es eine große Überraschung, dass ihre Mutter ihr den Besuch von Freundinnen angekündigt hatte.
Als sie uns beide sah, legte sich diese Verwunderung nicht. Aber nach einer Weile lächelte sie uns zu und sagte: »Kommt hoch!«
»Die Farben hier sind ja wirklich krass – und Ivys Mutter auch«, flüsterte mir Mona zu. Ivy war inzwischen vorgegangen und wieder in ihrem Zimmer. Als wir dort eintraten, stellte ich erleichtert fest, dass sie sich erfolgreich gegen die pinken Fensterrahmen
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