Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen
Durchlass. Jetzt kam Bewegung in mich. Eilig griff ich nach
den Riemen. Der Zulauf war so eng, dass ich die Ruder kaum ins Wasser
tauchen konnte. Ich bemühte mich, nicht in den Seerosen hängen
zu bleiben. Dennoch erschien es mir, als ob mich jeder Ruderschlag
tiefer in den Bachlauf führte. Schweiß trat auf meine
Stirn. Ich würde nicht aufgeben, bis ich heraus war! Ich wurde
immer hektischer und legte mich mit aller Kraft in die Riemen.
Plötzlich, als hätte jemand ein unsichtbares Gummiband
gekappt, schoss das Boot zurück und auf den See hinaus.
Einen Moment
verweilte ich und blickte ratlos zurück in Richtung des
schattigen Durchlasses. Was war da eben geschehen?
Eine Gänsehaut
überlief mich. Ich wollte nur noch weg! Energisch schlug ich die
Richtung zum Sommerhaus ein und ruderte, als wäre der Teufel
persönlich hinter mir her.
***
Am Abend lenkte ich
mich mit der Zubereitung des frischen Fisches ab. Captain One Ear
leistete mir in der Küche Gesellschaft. Als ich den Fisch in die
Bratpfanne gab, fing der Kater an ungeduldig um meine Beine zu
streichen. »Immer mit der Ruhe, One, du bekommst auch etwas
ab.«
Während ich am
Herd stand, liefen in meinem Kopf immer die gleichen Bilder ab. Ich
sah vor mir, wie ich verzweifelt aus dem dunklen Zulauf gerudert war.
Und immer wieder drängten sich die gleichen Frage auf: Wie hatte
ich nur gegen den Wind dorthin kommen können? Wahrscheinlich
durch irgendeine Strömung, versuchte ich mich zu beruhigen.
Außerdem war ja nicht wirklich etwas passiert, außer,
dass der Anker sich gelöst hatte, als ich schlief. Vermutlich
war er doch nicht so fest gewesen oder es lag am Wellengang. Ich
hatte einfach hysterisch reagiert. Aber nach alldem was damals
passiert war, war es selbstverständlich, dass ich so reagiert
hatte.
Das Maunzen des
Katers holte mich aus meinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück.
Beinahe wäre mir der Fisch in der Pfanne angebrannt. Schnell
stellte ich den Herd ab. Ein Stückchen vom Filet stellte ich One
Ear hin. Der Kater begann sofort, geräuschvoll zu fressen.
Den Rest häufte
ich mir auf einen Teller, gab frische Zitrone dazu und setzte mich an
den Küchentisch. Der Fisch schmeckte vorzüglich. Dennoch
stocherte ich nach ein paar Bissen auf meinem Teller herum. Sollte
das nun ewig so weitergehen, dass ich jeden Abend saß und mich
mit düsteren Gedanken plagte? Anscheinend hatte ich doch etwas
zu viel Zeit zum Nachdenken.
Irgendwann stellte
ich den Rest des Essens in den Kühlschrank und ging ins Bett.
In dieser Nacht
fingen die Albträume wieder an. Dennoch unterschied dieser Traum
sich von denen, die ich in den Jahren nach unserem letzten
Schwedenurlaub gehabt hatte. Zwar war ich im Traum wieder neun Jahre
alt, doch diesmal saß ich allein in dem Ruderboot. Um mich
herum brodelte das schwarze Wasser des Waldsees. Am Himmel zogen
dunkle Wolken auf. Ein moderiger Geruch hing in der Luft und nahm mir
den Atem. Dann entdeckte ich einen Strudel im Wasser. Das kleine Boot
begann sich zu drehen, immer schneller und schneller, während
der Geruch zunahm und ich kaum noch Luft bekam. Ich fing an zu
schreien. Immer wieder rief ich nach meinem Bruder. Das Boot drehte
sich immer schneller und wurde von dem Strudel in die Tiefe gezogen.
Im Traum schrie ich, bis die schwarzen Wellen über mir zusammen
schlugen.
Schweißgebadet
erwachte ich. Noch lange lag ich im Bett und wollte nicht aufstehen.
Der Albtraum der letzten Nacht stand mir noch vor meinem geistigen
Auge.
›Man soll
sich seinen Ängsten stellen‹, sagte mir einmal meine
Lehrerin, als ich mit zwölf Jahren heulend aus der Schule
gelaufen war, nachdem mich eine Mitschülerin beim
Schwimmunterricht untergetaucht hatte. Doch heute würde ich mich
meinen Ängsten nicht stellen. Ich hatte nicht die geringste Lust
auf den See hinauszufahren. Ich beschloss, dass es mal wieder Zeit
für einen Ausflug war und ich wusste auch genau, wo ich hin
wollte. Wenn das Leben bitter ist, braucht man Zuckerstangen!
Erfüllt
von neuem Elan ging ich duschen und machte mich fertig. Eine Stunde
später stieg ich in meinen Fiat und fuhr nach Gränna. Im
Sommer war dies ein beliebter Touristenort, doch um diese Jahreszeit
war es auch dort schon etwas ruhiger. Dennoch konnte man in den
vielen kleinen Läden Zuckerstangen kaufen, für die Gränna
so berühmt war. Ich fand schnell meinen Lieblingsladen. Ein
großes Schild mit der Aufschrift Polkagrisar
wies mir den Weg. Dort konnte man den Zuckerbäckern durch
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