Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
Vom Netzwerk:
mit wichtiger Miene über den Traktorenprospekten
des amerikanischen Geschäftemachers Henry Ford. Und die Stille, die der Schnee
uns bescherte, wurde dichter um uns herum. Kaum ein Laut war in den Tälern zu vernehmen
außer dem Schrei der Kiebitze, die ihren einsamen Ruf in die Einsamkeit der
schneebedeckten Landschaft schickten und sich vom Rande eines Kornfelds
erhoben, wenn die Bauersfrau kam, um die Hühner zu füttern. Eine weiße
Weihnacht hat immer etwas Erwartungsvolles, schon seit altersher. Und so waren
denn später auch viele, die behaupteten, sie hätten es gespürt; sie hätten
nicht gewußt was, aber daß etwas geschehen würde, das hätten sie gespürt, und
ein schreckliches Gefühl sei es gewesen, schrecklich wie nie zuvor. Und eine im
Dorf erzählte, als der Pfarrer von den Boten Gottes gesprochen habe, da
habe sie sich ganz unschuldig in Gedanken ausmalen wollen, wie die Engel
herniederschwebten, so wie auf den Weihnachtskarten, und da habe sie den
Schwachkopf Tammas vor sich gesehen, wie er oben von Erchany durch den Schnee
gestapft käme und stammelte, ein Mord sei geschehen; und es sollte gerade
einmal eine Woche vergehen, bis es sich genau so zutrug, doch an jenem Tage
hatte sie nichts gesagt, weil es ihr gotteslästerlich vorkam, daß jemand solche
Ahnungen hatte. Mistress McLaren war es, die Frau des Dorfschmieds; immer die
richtige Nase für Sensationen, wie unser Zeitungshändler das nennt.
    War die Natur in jenen Wochen unter all dem Schnee in ein düsteres Schweigen
verfallen, so gab es doch in Kinkeig manch menschliche Zunge, die für Ausgleich
sorgte. Je weniger Arbeit, desto mehr Klatsch, so ist es immer, und es gab mehr
zu reden denn je. Castle Erchany ist weit genug fort von Kinkeig, aber es ist
nun einmal das Gutshaus und, vom Pfarrhaus abgesehen, das einzige vornehme Haus
weit und breit, und da ist es nur natürlich, daß Leute, die nichts zu tun
haben, anfangen darüber zu reden. Da konnten die Bewohner so still und bieder
sein wie niemand sonst in Schottland – obwohl sie das ja in diesem Falle nicht
waren. Die Guthries waren schon immer eine Familie gewesen, die Aufsehen
erregte, sie hatten eine Art, bei der die Leute entweder empört aufschreien
oder hinter vorgehaltener Hand flüstern: ihre spektakuläre Tapferkeit, die
Ränke, unter Skandalen aufgedeckt, eine Geburt unter merkwürdigen Umständen,
eine Entführung oder sonst etwas Romantisches, das sich hinter ihren
vertrackten Heiratsgeschichten versteckt, Gewalttaten, Wahnsinn, aufflammende
Leidenschaften, die gleißendes Licht oder düstere Schatten über ihr Ende
werfen. Viele alte Familien haben eine so bunte Geschichte wie die Guthries,
doch wenige haben dabei durch die Jahrhunderte auch noch ihren Besitz
beisammengehalten. Schon lange vor der Reformation waren die Guthries auf
Erchany – und der Leser sei gewarnt, daß ich ihn gleich mit zurück in die Zeit
vor der Reformation nehmen werde. Doch am besten werde ich wohl zunächst von
Ranald Guthrie und den Vogelscheuchen erzählen. Denn das war das erste, worüber
die Leute in jenen Wochen redeten.
    Ranald Guthrie war ein knausriger Mann: wie knausrig, das wußten nur
die wenigsten in Kinkeig. Denn zwar hatte jeder schon von den Vogelscheuchen
gehört – es war die Art, wie er die Gamleys behandelte, worüber die Leute
redeten, nicht die Vogelscheuchen selbst –, aber das war keineswegs das
Äußerste an Geiz, dessen er fähig war. Ich selbst wußte schon lange, daß er in
einem geradezu irrsinnigen Maße geizig war – seit dem Tag, an dem seine
amerikanischen Vettern ihn amtlich für verrückt erklären wollten. Wo wir nun
schon einmal dabei sind, kann ich es auch hier gleich berichten.
    Es liegt zwei Jahre zurück, da kamen zwei Engländer her, zwei windige
Burschen mit verschlagenen Augen im Schatten ihrer kleinen Bowlerhüte, und fragten
ganz Kinkeig nach Guthrie aus, spendierten den Bauernburschen ein Glas im Arms,
damit sie redeten, und die Frauen – die ja ohnehin nicht viel Überredung brauchten – brachten sie mit Pennies, die sie den Kindern schenkten, dazu. Einer war sogar
so dreist und kam zu mir in die Werkstatt und fragte, ob mir vielleicht etwas
Außergewöhnliches bei meinen Geschäften mit Guthrie aufgefallen sei, und ich glaube
gar, er hätte mit einer Pfundnote gewinkt, hätte ich ihm nicht streng in die
Augen geblickt. Natürlich wußte ich, daß Guthrie ein seltsamer Kunde war: gerade
erst die Woche zuvor hatte er ein Paar Stiefel zum

Weitere Kostenlose Bücher