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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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zahlte und setzte seinen Spaziergang fort.
    Wie eine schartige Zunge streckte sich das Häusergewirr der Altstadt zwischen die Gärten um die Kathedrale und den Alcázar. Escarlati ging an Wohnhäusern, offenen Werkstätten und Kneipen entlang, folgte dann einer etwas ansteigenden Spur in das Viertel hinein, wobei er einer Kutsche ausweichen musste, die knapp an ihm vorbeipolterte, schwankend, ihre Fenster mit roten Vorhängen verhüllt. Er sah dem Gefährt nach, erblickte einen Schleier durch die rückwärtige Luke und den Hut des Kutschers über dem Dach, schritt dann weiter, gab sich den Anschein, ein Ziel vor Augen zu haben, um Bettler und Kinder nicht wie ein Magnet anzuziehen. Seine Kleidung war fein, doch nicht zu auffällig und konnte für den Rock eines Bürgers, Doktors oder Händlers durchgehen. Die Zugehörigkeit zum Hof sah man ihm, zumindest auf den ersten Blick, nicht an. Sein Geld war im Brustbeutel verstaut, die mausgraue Perücke saß, vor Wind geschützt, fest unter dem bunten Hut.
    Das Pferdegetrappel verklang, die Stille des Nachmittags drang allmählich in die Gassen vor, bis in die letzten Winkel wie in einen ausgetrockneten Schwamm. Die letzten Essensgerüche des Mittags wurden weit hinaus vor die Stadt und in die Orangenhaine getragen. Auch die Passanten verflüchtigten sich und Escarlatis Sorge vor Belästigung oder gar Diebstahl war nun vollends unbegründet. Ein paar Kinder und Katzen stoben als Letzte davon. Es wurde still, die Gasse eng wie in Napoli, von weißer Wäsche hie und da überbrückt, auf Leinen festgemacht, welche die schiefen Hauswände zusammenzuhalten schienen. Die Fahrspur zwischen dem Pflaster war mit Gras bewachsen. Nun lag die Giralda in Escarlatis Rücken, er blieb kurz stehen und drehte sich um. Ja, dort ragte der steinerne Pflock in den Himmel, schwarz im Gegenlicht der Sonne, auf dem großen Platz.
    Als er um die nächste Ecke bog, fand er sich in einem überwachsenen, verfallenen Innenhof wieder, einem Quadrat aus zersprungenen Steinplatten, dem das Haus rundherum weggebrochen war. Die hinterste der vier Flanken hatte man durch eine Holzhütte ersetzt. Davor glommen in einem Topf ein paar Holzkohlen, an denen sich eine alte, schwarz gekleidete Frau gerade ihre Pfeife anzündete; dazu war sie tief in die Knie gegangen, hatte die Pfeife umgedreht – wobei Escarlati sich wunderte, dass der Tabak nicht herausfiel – und sog an der glühend heißen Luft.
    Er glaubte, einige weitere Gestalten in die Holzhütte verschwinden zu sehen, war sich jedoch nicht sicher.
    »Da seid Ihr ja!«, rief die alte Frau ihm zu, wobei sie ein paarmal wie ein Fisch schmatzte, um die Pfeife anzufachen. »Endlich. Wie war die Fahrt? Meine Kristallkugel ist bereit, kommt, ich lese Euch die Zukunft, sage Euch das Schlechte und das Gute; oder wenn Ihr es so wollt, auch nur das Gute.«
    »Woher …«, begann Escarlati, verstand jedoch sogleich, dass es nicht auf jede Frage eine Antwort gibt. Die Frau war alt, sehr alt, hatte aber zugleich etwas Jugendliches: schlank und nicht dünn, höflich gebeugt und nicht gebückt, ein leuchtender und nicht starrer Blick und trotz der rotbraunen, gegerbten Haut ein wunderbares, ebenmäßiges Gesicht gleich dem eines Mädchens, doch von Falten durchzogen – als hätte man zwei Alter übereinandergelegt.
    »Ich habe Euch am Hafen gesehen«, sagte die Alte wider Erwarten, und Escarlati war nicht etwa enttäuscht, ganz im Gegenteil: Sollte es hier wirklich mit rechten Dingen zugehen?
    »Normalerweise tue ich so etwas nicht«, sagte er, als habe er es mit einem Freudenmädchen zu tun, folgte der Schwarzgekleideten aber ohne Zögern ins Innere des Schuppens, wobei es so aussah, als zöge nicht sie, sondern dränge er, der Meister, die Wahrsagerin um ein paar dunkle Ecken herum und in den verfallenen Salon hinein, doch woher wiederum wusste Escarlati denn, wohin es ging?
    Der Raum war mit Teppichen behängt, deren Skelette aus parallelen Fäden durch abgeschabte Stellen hindurchschimmerten. Frische und trockene Blumen lagerten durcheinander auf einer Bank und in einer Art Hängematte. Etliche Blumenvasen standen herum, waren jedoch leer. Escarlati schnüffelte: Roch es hier nach verbranntem Fleisch, nach Resten eines Mittagessens? Nein – die Luft war rein. Die Frau setzte sich auf einen Stapel Tücher und Teppiche und wies Escarlati an, sich ihr gegenüber niederzulassen. Zwischen ihnen stand die Kugel aus Glas.
    Escarlati schwieg. Die Alte sah Domingo auf die

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