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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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war er es nicht? Doch! Derselbe Gang, das Tastende, Schiebende, als müsse er sich durch einen Wald unsichtbarer Stäbe hindurchfinden, die Hände immer etwas vorgestreckt, zögernden Schrittes, was – ja, gerade das – ihm seltsamerweise eine gewisse Leichtigkeit gab, nicht diejenige eines Hirsches oder Tänzers zwar, sondern eher jene eines mit Luft gefüllten Ballons, eines Spielzeuges. So entschwand er um die Ecke, und sie rief ihm nicht hinterher.
    Die Sonne nahm täglich zu an Kraft, doch noch war es kühl, und Maria Barbara verließ bald den Balkon.
    Der Meister war also hier! Was das Wiedersehen betraf, war sie ihm nun einen Schritt voraus, hatte ihn erblickt, er sie aber noch nicht.
    Wird er mich überhaupt wiedererkennen? Wie lange ist es her? Sieben Jahre. Damals war ich ein Kind – glauben die anderen – und der Meister ein schöner Mann. Nun bin ich eine Frau.
    Er ist ein wenig dicker geworden.
    Dieses Wiedersehen auf Raten ist lustig! Es erhöht die Spannung – man entdeckt den Geliebten in der Menge, kann aber nicht zu ihm durchdringen und wird von einer wohligen Aufregung ergriffen.
    Geliebter? Was sage ich denn da? Schon sind die Gefühle verwirrt, durcheinandergemischt wie die Zutaten im Teig. Man müsste sie sortieren können, so wie man sich das Nötige für eine Pastete vor dem Backen zurechtlegt, damit diese auch gelingt: hier das Häufchen Mehl, dort die Eier, da Salz und Butter – hier die Zuneigung, dort der Respekt einer Schülerin vor dem Meister, da aber die Liebe – und darin wiederum eine Prise Lust, mit jener untrennbar vermengt.
    Doch so einfach ist das nicht. Sie setzte sich an ihr Cembalo, das private, kleine Instrument, das mit galanten Szenen in einem Park bemalt war und in einer Ecke des Salons stand, schlug ein paar Töne an, kreuz und quer über die Tastatur – oje, schon wieder verstimmt! – und klappte dann das Notenheft auf, das vor ihr stand: eine zerfledderte, oft benutzte Sammlung handkopierter Sonaten des Meisters.
    Ein erster Stimmeneinsatz summte umher wie eine Biene, schien durch das offene Fenster davonhuschen zu wollen, doch dann trat eine zweite, halbherzig imitierende Stimme hinzu, so wie zwei Insekten umeinander flattern, spielen und zu einem größeren Ganzen finden, doch bald löste sich das Geflecht von jeglicher Vorhersehbarkeit; Melodie wie Harmonie gingen ihre eigenen Wege, den Anfang des Stückes gänzlich vergessend.
    Wie kann ein so feines Gespinst eine so große Welt umreißen?
    Schon oft hatte sie dem Geheimnis dieser kleinen Werke nachgespürt, die so unscheinbar, doch in riesiger Zahl daherkommen wie ein Heuschreckenschwarm. Offensichtlich endlos kann Escarlati sie produzieren und dann achtlos hinter sich werfen, manche nicht einmal vollständig aufgeschrieben, halb improvisiert und somit nur in des Meisters Kopf verankert, doch für wie lange? Wie viele dieser Werkchen mochten in den sieben Jahren der Trennung geschlüpft sein und wie viele davon schon wieder vergessen?
    Deren Geheimnis: Da ist zunächst die Frage, hinter welchem Schleier sich dieses überhaupt verbergen kann, sind doch die Stücke selbst eigentlich nur aus Luft; Luft, in der ein paar Linien schwanken wie ein aus Perlenketten gehängter Türvorhang. Alles liegt offen da beinahe durchsichtig, auch verletzlich. Blitzschnell verwelken die Sonaten in den üblichen Hofkonzerten gleich Mohnblumen, durchstößt sie doch schon der Absatz eines Damenschuhs, das Schlagen einer Uhr oder Hundegebell, und zurück bleiben zumeist höflich ratlose Zuhörer, die einander zuflüstern: Das ist also dieser Escarlati … Nun ja …
    Einige wenige freilich sind entzückt und wie verzaubert, legen das Ohr ans Cembalo und lauschen, hören drinnen Insektenfühler kratzen und träumen vom Flug der Käfer und Libellen.
    Wie macht er das nur? Einen der Kniffe glaubte sie verstanden zu haben: Das Anfangsmotiv dient jeweils nur dazu, die Reise zu beginnen, irgendwohin, ein ganz beliebiger erster Schritt, nur damit diesem weitere folgen können, als vergäße man sogleich Sinn und auch Ziel der Fahrt (oder als habe es beides nie gegeben), als ginge es nur um den Weg und um das, was dann am Wegesrand geschieht. Nichts Feierliches überdies, nichts Großtuerisches oder Königliches – vielleicht eine aufsteigende Lerche, eine Blume, ein Windstoß, vielleicht auch ein paar tanzende Mädchen oder der unscheinbare Anfang einer unendlichen Liebe … Ob ihm das alles bewusst ist?
    Sie ging wieder ans Fenster.

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