Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
Vom Netzwerk:
Nase und beobachtete, wie sein Blick über die Schärpe aus trockenen und frischen Blüten hinter ihr wanderte. Sie seufzte.
    »Je älter man ist«, sagte sie, »desto schwerer ist es, die Welt zum Duften zu bringen. Die Gerüche der Kindheit, das frisch gebackene Brot, die Orangenblüten, ach, ich weiß nicht was, verflüchtigen sich nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit, Jahr für Jahr nehmen sie ab an Kraft, wie auch meine eigene Stärke, oje … doch manche Gerüche, die vergisst man nie – und wer wüsste dies besser als Ihr? Ist es nicht so?«
    Sie drehte die Kugel auf ihrem Podest, einem kleinen roten Kissen, zurecht – doch nach welchen Koordinaten eigentlich?
    Kurz, die Wahrsagerin machte sich ans Werk – hatte ja sogar schon einmal ins Schwarze getroffen.
    »Wie viel …«, begann Domingo und wollte schon in seinen Brustbeutel nach einigen Münzen fahren, doch die Hellseherin hob die Hand (eine Puta bezahlt man wohl vorher, doch nicht mich!):
    »Später. Man gibt, so viel man will.«
    Er nickte. »Pro gute Nachricht«, setzte sie lustig hinzu, die Lippen grinsend geschürzt, wodurch sich ihr Mund mit sternförmigen, tiefen Falten umgab und zu einer dunklen Öffnung wurde. »Gilt?«
    »Gilt.«
    Die Kristallkugel war blind, milchig, halb zersprungen. Da drin soll man etwas über mich sehen können?, fragte sich Domingo.
    Doch anscheinend war er wirklich da drin. Die Alte fuhr mit Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand über die Kugeloberfläche, tupfte hie und da ein Stäubchen fort, seufzte dabei gepresst wie jemand, der etwas Schweres hebt – als wären jene Stäubchen riesenhaft und dazu gar aus Blei (vielleicht versetzte sie sich bereits in Domingos neue Perspektive und Größe, was seine Gefangenschaft im Glasballon betraf). Er sah sich im Geiste und als Geist von innen an die Kugel patschen, um Hilfe rufen, zirpend wie ein Insekt: Rettet mich doch! – Aber dafür war es nun zu spät.
    »Ich will ja gar nichts wissen«, schrie sein Doppelgänger, der Zwerg im Glas. Doch die Seherin tippte ein paar Mal auf die Kugel, so wie ein Dirigent den Stab am Pult anschlägt, um die Vorstellung zu beginnen, und Ruhe war da drin.
    »Anfang und Grund aller Dinge sind in der Vergangenheit fest verankert, für immer und ewig – lesbar für den, der Augen hat zu sehen«, begann sie. »Wenn man an so etwas glaubt wie Zeit.«
    »Die Zeit vergeht, jaja«, sagte Escarlati.
    »Nicht hier drin«, belehrte sie ihn kopfschüttelnd, klopfte nochmals fest auf den Kristall und schüttelte das Männlein kräftig durch.
    Die Kristallkugel mochte vielleicht blind sein. Die Frau war es nicht.
    »Ihr kommt von weit her …«
    Das zu wissen ist keine Kunst …
    »… seid fremd hier …«
    Bei meinem Akzent …
    »… und vieles ist Euch ungewohnt«, sagte sie ehrerbietig, so wie man eine Herrschaft anspricht. »Über das Meer …«
    Nun ja, sie weiß vom Schiff.
    »… aus einer großen Stadt unter einem großen schwarzen Berg. Des Nachts sehe ich Feuerschein am Himmel …«
    Sie kann in Erfahrung gebracht haben, dass das Schiff aus …
    »Rote, gebogene Linien wie Flugbahnen brennender Vögel. Dazu Sternschnuppen, viele davon, zweierlei Flugkörper also, zwei Arten von Strichen durch den Himmel, rote und goldene. Ob das von Bedeutung ist? Ich weiß es nicht. Lass sehen, was ist da noch, was zeigt sich im Glas?«
    Doch sie sah nicht mehr auf die Kugel, sondern in irgendeine Ferne. »Ein Mann, mächtig, klug und freundlich zwar«, fuhr sie fort, »doch du bist klein und hast Angst …«
    Papa. Sieht man mir das an?
    »Löse dich, wirf die Fesseln weg, am besten ins Meer, an dessen tiefster Stelle …«
    Woher in aller Welt …
    » – Schon getan? Gut – und sei keines Mannes Knecht. Nun bist du, nun seid Ihr, verzeiht, ein Caballero, ein Ritter. Du beherrschst dein Pferd.«
    Das Cembalo!
    »Wie kein Zweiter, weißt, wie man allen anderen davonreitet. Stimmt’s? Doch – wohin? Nun endlich hältst du inne und überlegst dir das, suchst das richtige Ziel, an das noch niemand je zu Pferde gelangte.«
    »In der Tat möchte ich neue Wege …«, sagte Escarlati, wurde aber sogleich unterbrochen.
    »Weiter, bevor sich die Pforte wieder schließt, was die Liebe betrifft – das wollt Ihr doch alle als Erstes wissen, nicht wahr? – Was sehe ich denn da?« Sie rieb die milchige Kugel leicht und schnell, als berühre sie eine ganz besondere Stelle am Mann oder wische über einen hartnäckigen Fleck, dabei anzüglich und

Weitere Kostenlose Bücher