Kleider machen Bräute
Ich könnte das Kleid abholen und mitbringen, wenn ich morgen nach Venedig fliege. Dann kannst du es am Nachmittag in die Arme schließen. Problem gelöst!«
Die jetzt einsetzende Stille war anders. Molly konnte es förmlich hören, und eine Welle altbekannter Traurigkeit überkam sie.
»Ich … denke, das wäre okay …«
Molly seufzte. »Du vertraust mir nicht …«
Dieses Mal seufzte Caitlin. »Es ist ja nicht, dass …«
»Natürlich nicht.« Molly rieb sich über die Stirn und presste die Zähne zusammen. Dass Caitlin ihr nach all den Jahren immer noch nicht traute.
»Es ist nur«, begann Caitlin. »Du und ich haben mit Kleidern unsere Geschichte, oder?«
Jetzt wurde Molly wütend. »Das? Wie viele Jahre muss ich mir das noch anhören? Vielleicht solltest du auch noch Spieldosen erwähnen, da haben wir auch unsere Vorgeschichte!«
»Molly …«
»Uralte Geschichten! Vergiss einfach meinen Vorschlag, okay?«
Damit hatte sie ihre Schwester. Caitlin war aus dem Konzept gebracht. »Tut mir leid, Kleines, ehrlich. Gib meinem Zustand als Braut die Schuld.«
»Brautzilla-Zustand«, murmelte Molly.
»Das habe ich gehört.«
Das sollte sie auch. »Also. Möchtest du, dass ich dein Kleid mitbringe, oder nicht? Wenn, dann muss ich es noch heute Abend abholen, mein Flug geht morgen ganz früh. Würde das helfen?«
»Ja, ja, bitte. Es würde helfen. Ja.«
Die Erleichterung in Caitlins Stimme besänftigte Molly. Was für eine Nacht! Eine gescheiterte Verlobung. Eine unerwartete Trennung. Und von ihrer Schwester für nicht vertrauenswürdig gehalten – na toll!
»Danke Molly. Vielen Dank.« Man konnte förmlich hören, dass Caitlin strahlte. »Ich rufe Delametri an und sage, dass du unterwegs bist. Einverstanden? Du kannst doch jetzt sofort hinfahren, oder?«
Eigentlich wollte sich Molly nur noch unter der Bettdecke verkriechen und in den Schlaf weinen.
»Du brauchst die Adresse …«
Molly seufzte und setzte sich mühsam wieder auf. »Ich weiß, wo es ist. Heute Nachmittag habe ich mir die Nase an der Schaufensterscheibe platt gedrückt und beim Anblick der tollen Klamotten gesabbert.«
»Nette Vorstellung, Schwesterherz.« Caitlin lachte.
Molly fühlte sich sonderbar. Sie war erschöpft und wie durch die Mangel gedreht, aber allmählich wurde ihr klar, dass sie die paradiesische Welt der Haute Couture betreten und den Meister persönlich kennenlernen würde! Den großen Delametri Chevalier!
»Ach, und Molly?«
Jetzt wird sie mir sagen, dass ich das Kleid mit meinem Leben verteidigen muss.
»Ja, Caitlin?«
»Du wirst dieses Kleid doch mit deinem Leben verteidigen, oder?
Molly verdrehte die Augen. »Ich werde das Kleid im Flugzeug auf meinen Sitzplatz anschnallen und selber mit meinen Koffern im Gepäckraum mitfliegen … nur für dich.«
»Ausgezeichnet. Oh, und Molly?«
Molly schüttelte den Kopf und lächelte. »Gern geschehen.«
Sie wischte schnell den Straßenstaub von den Schu hen, kontrollierte, dass die Tränen von vorhin keine verräterischen Wimperntuschespuren in ihrem Gesicht hinterlassen hatten, und machte sich auf den Weg. Sie war unterwegs zu Delametri Chevalier! Allein der Gedanke ließ sie vor Aufregung schwindelig werden.
Ich sollte mich eigentlich nicht so freuen – schließlich habe ich gerade erst den Laufpass bekommen …
Sie fragte sich, ob ihr Gehirn ihren Kummer auf Eis gelegt hatte, während sie sich auf den aktuellen Notfall konzentrierte. Vielleicht war es auch eine Art Selbst schutzmechanismus. Morgen im Flugzeug hatte sie noch reichlich Zeit zum Weinen.
Vielleicht lag es auch an Paris. In der Stadt ihrer Träume zu sein, so nah bei ihren großen Vorbildern. Dior! Chanel! Chevalier …
Als sie jetzt den Weg vom Nachmittag noch einmal ging, waren die Boulevards, die vor wenigen Stunden voller Menschen, Romantik und Pariser Charme gewesen waren, unbelebt und still. Molly versuchte, sich ganz auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
Delametri Chavalier war ein großer, gutgebauter Mann mit kurzem grau meliertem Haar, das er auf altmodische Weise mit Pomade glatt nach hinten gekämmt trug, kleinen, mandelförmigen Augen und einem stets perfekten schmalen Oberlippenbart. So viel wusste Molly von Fotos in der Vogue und im Tatler . Sie wusste auch, dass er aus schließlich seine eigenen maßgeschneiderten Anzüge trug und vier Sprachen beherrschte.
Glücklicherweise war Englisch eine davon. Molly verzog vor Aufregung das Gesicht und überlegte, was sie ihm sagen
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