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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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arbeitet?«
    »Eigentlich ja; sie hat mich
gebeten, sie im Dienst anzurufen.«
    »Tut mir leid.«
    »Vielen Dank jedenfalls.«
    Sie legte den Hörer auf. Der
Klempner pfiff »Clementine«. Während Delia Mrs. Allinghams Nummer wählte, kam
er gemächlich ins Schlafzimmer, pfiff immer noch, und sie zog sittsam ihren
Rock über die Knie. Er hockte vor dem Türchen, das die Rohre in der Wand
verdeckte. Er pfiff Thou art lost and gone forever, oh mein Darling,
Clementine; Delia sang im Geiste mit. Er zog einmal am hölzernen Türgriff, und
schon hatte er ihn in der Hand. Das hätte sie ihm gleich sagen können. Sie
beobachtete mit gewisser Befriedigung, wie er leise fluchte und eine Flachzange
aus der Gürtelschlaufe zog.
    Siebenmal Läuten. Achtmal. Sie
gab nicht auf. Mrs. Allingham hinkte und brauchte zum Telefon endlos.
    Neunmal. »Hallo?«
    »Mrs. Allingham, ich bin’s,
Delia.«
    »Delia, du Liebe! Wie geht es
dir?«
    »Danke gut, und Ihnen?«
    »Oh, uns geht’s gut, ganz gut.
Wir freuen uns über das schöne Frühlingswetter! Hatten schon fast vergessen, wie
Sonnenschein aussieht, bis heute.«
    »Ich auch«, sagte Delia. Sie
empfand plötzlich so etwas wie einen Anflug von Heimweh; Mrs. Allinghams ein
wenig spröde Zwitscherstimme erinnerte sie an alle Frauen hier in dieser
Straße, in der sie aufgewachsen war. »Mrs. Allingham«, sagte sie, »Sam und ich
kommen gern morgen abend zum Essen, aber die Kinder können wir leider nicht
mitbringen.«
    »Oh!« sagte Mrs. Allingham.
    »Sie haben augenblicklich
soviel zu tun. Sie wissen, wie das ist.«
    »Ja, natürlich«, sagte Mrs. Allingham
schwach.
    »Aber vielleicht ein andermal!
Sie freuen sich immer so auf Sie.«
    »Ja, sicher, und wir auch auf
sie.«
    »Also, dann bis morgen um
sieben«, sagte Delia schnell, denn unten hörte sie Sam, und sie hatte noch
tausend Dinge zu erledigen. »Auf Wiedersehen bis dann.«
    Inzwischen hatte der Klempner
das Türchen geöffnet und untersuchte das Wandinnere, doch klug wie sie war,
fragte sie ihn nicht, was er gefunden hatte.
    In der Küche lehnte Sam gegen
einen der Schränke und zog seine lehmigen Laufschuhe aus. Er unterhielt sich
mit Carroll: »... der Rutscheffekt, wenn du auf Zedernholzstückchen trittst...«
    »Sam, wie konntest du allein
weggehen?« fragte Delia. »Du wußtest doch, daß ich mir Sorgen mache.«
    »Hallo, Dee«, sagte er.
    Sein T-Shirt war vor Schweiß durchsichtig,
sein kantiges Gesicht glänzte, und seine Brille war beschlagen. Sein Haar —
schwer zu sagen, ob grau oder blond, so unmerklich hatte die Farbe sich
verändert — stand ihm in feuchten Strähnen vom Kopf ab. »Sieh dich an«,
schimpfte Delia. »Du hast geschwitzt. Du bist einfach allein laufen gegangen
und bist ganz durchgeschwitzt, obwohl der Arzt dir ein dutzendmal — «
    »Wem gehört der Wagen in der
Einfahrt?«
    »Wagen?«
    »Der Kombi, der in der Einfahrt
parkt?«
    »Gehört er keinem Patienten?
Nein, wahrscheinlich nicht.«
    »Klempner«, sagte Carroll
hinter seinem Glas Orangensaft.
    »Oh, gut«, sagte Sam, »der
Klempner ist da.«
    Er stellte seine Schuhe auf die
Fußmatte und wollte die Küche verlassen, unbestritten in freudiger Erwartung
eines kernigen Gesprächs von Mann zu Mann, über Ventile, Schweißnähte und
Dichtungen. »Sam, warte«, sagte Delia, denn sie hatte noch etwas auf dem
Herzen. »Bevor ich es vergesse — «
    Er drehte sich um, schon in
Deckung.
    »Mr. Knowles hat angerufen,
irgend etwas ist mit seinen Tabletten«, sagte sie.
    »Ich dachte, das hätte er
geklärt.«
    »Und außerdem, hm, Mrs.
Allingham. Sie möchte wissen, ob wir zum — «
    Er stöhnte. »Nein«, sagte er,
»nein.«
    »Aber du hast ja noch gar nicht
zugehört! Ein leichtes Abendessen am Sonntag, sagte sie, und ich habe ihr — «
    » Ich gehe bestimmt nicht
hin«, unterbrach Carroll sie.
    »Nein, das habe ich schon
gesagt; ich habe gesagt, daß ihr Kinder beschäftigt seid. Aber du und ich, Sam,
nur zum — «
    »Wir können nicht«, sagte Sam
schroff.
    »Aber ich habe schon zugesagt.«
    Eigentlich war er im Begriff
gewesen zu gehen, doch jetzt blieb er stehen und sah sie an.
    »Ich weiß, ich hätte dich erst
fragen sollen, aber ich habe sie aus Versehen gleich angerufen und zugesagt.«
    »Na, dann«, sagte er, »rufst du
sie am besten noch einmal an und sagst wieder ab.«
    »Aber Sam!«
    Er ging aus der Küche.
    Sie sah zu Carroll hinüber.
»Wie kann er so gemein sein?« fragte sie, aber Carroll hob nur eine Augenbraue,
weltmännisch, seine

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