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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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gewesen«.
    Wer über den gegenwärtigen
Aufenthaltsort Mrs. Grinsteads Auskunft geben kann, wird dringend gebeten, sich
an die Polizei des Staates Delaware zu wenden.
     
     
    * * *

1 Alles begann an einem
Samstagmorgen im Mai, einem jener warmen Frühlingstage, an denen es nach frischer
Wäsche riecht. Delia war zum Supermarkt gefahren, um für die kommende Woche
einzukaufen. Sie stand in der Gemüseabteilung, griff lustlos einen Bund
Stangensellerie. Lebensmittelläden brachten sie immer ins Grübeln. Wieso,
überlegte sie, hieß Stangensellerie nicht »Samtrippengemüse«? Das klang viel
plastischer. Und Knoblauchknollen »Geldbeutel« — die Rundungen erinnerten sie
an die prallen Münzsäcke im Märchen.
    Zu ihrer Rechten suchte ein
Kunde grüne Zwiebeln aus. Es war noch früh, der Laden war fast leer, und
dennoch kam ihr dieser Mann ein wenig zu nah. Ein-, zweimal hatte sein
Hemdsärmel den Ärmel ihres Kleids gestreift. Außerdem schob er die Zwiebeln
eigentlich nur hin und her. Er hob ein Bündel hoch, ließ es fallen und nahm das
nächste. Seine Finger waren sehr lang und behende, fast wie Spinnen. Die
Manschetten seines Hemds waren aus gelbem Popeline.
    Er sagte: »Wissen Sie, ob das
Frühlingszwiebeln sind?«
    »Kann schon sein«, sagte Delia.
Sie griff den nächstbesten Selleriebund und ging weiter zu den Plastiktüten.
    »Oder sind es Schalotten?«
    »Nein, Frühlingszwiebeln«, gab
sie ihm zur Antwort.
    Unnötigerweise hielt er die
Plastikrolle oben fest, als sie eine Tüte abriß. (Er überragte sie um gute
dreißig Zentimeter.) Sie ließ den Sellerie in die Tüte fallen und griff nach
der Schale mit den Verschlüssen, aber er hatte schon einen für sie
herausgenommen. »Was sind eigentlich Schalotten?« fragte er.
    Sie befürchtete schon einen
Annäherungsversuch; doch als sie sich umdrehte, stellte sie fest, er war sicher
zehn Jahre jünger als sie und sah außerdem sehr gut aus. Sein Haar war glatt
und dunkelblond; die milchigblauen Augen gaben ihm etwas Verträumtes,
Friedfertiges. Er lächelte auf sie herab und stand für einen Fremden ein wenig
zu dicht.
    »Hm...« sagte sie verwirrt.
    »Schalotten«, erinnerte er sie.
    »Schalotten sind dicker«, sagte
sie. Sie legte den Sellerie in ihren Einkaufswagen. »Ich glaube, sie stehen
über der Petersilie«, rief sie über die Schulter; doch er ging neben ihr, hielt
mit ihr Schritt, als sie ihren Wagen zu den Zitrusfrüchten schob. Er trug
Jeans, sehr verblichene, und Mokassins, Leisetreter, die von »King of the Road«
aus der Lautsprecheranlage übertönt wurden.
    »Zitronen brauche ich auch«,
erklärte er.
    Sie sah ihn noch einmal
verstohlen an.
    »Hören Sie«, sagte er
plötzlich. Er sprach ganz leise.
    »Darf ich Sie um einen großen
Gefallen bitten?«
    »Hm...«
    »Meine Exfrau steht da vorn bei
den Kartoffeln. Oder nicht Ex, sondern... eher getrennt, und sie hat ihren
Freund dabei. Darf ich einfach so tun, als gehörten wir zusammen? Nur bis ich
hier wieder raus bin?«
    »Ja, natürlich«, sagte Delia.
    Und ohne auch nur mit der
Wimper zu zucken, fiel sie begeistert zurück in alte High-School-Zeiten;
romantisches Katz- und Mausspiel, Lug und Trug. Sie kniff die Augen zusammen,
reckte das Kinn und sagte: »Wir werden es ihr zeigen!«, umsegelte das Obst und
machte zum Wurzelgemüse kehrt. »Welche ist es?« artikulierte sie wie eine
Bauchrednerpuppe.
    »Beiges Hemd«, flüsterte er. Da
zuckte sie zusammen, weil er plötzlich lauthals lachte. »Ha, ha!« rief er. »Sie
sind ganz schön pfiffig!«
    Doch »beiges Hemd« war absolut
nicht die passende Beschreibung. Die Frau, die sich auf seine Stimme hin
umdrehte, trug eine eierschalfarbene Seidentunika über einer schwarzen
Seidenhose mit Beinen, so schmal wie zwei Bleistifte. Ihr Haar war tiefschwarz,
an einer Seite kürzer, und ihr Gesicht bildete ein perfektes Oval. »Ach,
Adrian«, sagte sie. Die Person neben ihr — irgendein Mann — drehte sich auch
um, in der Hand eine Kartoffel. Ein dunkler, breiter Mann mit einem uneben
teigigen Gesicht und Augenbrauen, die in der Mitte zusammengewachsen waren. Er
konnte der Frau eigentlich nicht das Wasser reichen; aber wer konnte das schon?
    Delias Begleiter sagte:
»Rosemary. Dich habe ich ja gar nicht gesehen. Also, vergiß bloß nicht«,
erklärte er Delia, ohne sein Tempo zu verringern. Er griff ihren Wagen und
steuerte auf Gang drei zu. »Du hast mir versprochen, heute abend machst du mir
wieder deinen Flammeri.«
    »O ja, meinen...

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