Kleine freie Männer
»Selbst wenn sie aus Büchern kommen.« Und sie hätte etwas gegen das unternommen, was mit der alten Frau Schnappich passiert war, dachte sie. Sie hätte laut gesprochen, und die Leute hätten auf sie gehört. Sie waren immer bereit, auf sie zu hören. Sprich für jene, die keine Stimme haben, hatte sie immer gesagt.
»Gut«, sagte Fräulein Tick. »Das wäre richtig gewesen. Hexen kümmern sich um Dinge. Du hast gesagt, dass der Fluss dort, wo Jenny emporgesprungen ist, sehr seicht war? Und die Welt wirkte verschwommen und zittrig? Hat es vielleicht gezischelt?«
Tiffany strahlte. »Ja, es hat gezischelt, eindeutig!«
»Ah. Etwas Schlimmes passiert.«
Tiffany wirkte besorgt.
»Kann ich es aufhalten?«
»Und jetzt bin ich beeindruckt«, sagte Fräulein Tick. »Du hast >Kann ich es aufhalten?< gesagt, nicht >Kann jemand es aufhalten?< oder >Können wir es aufhalten?<. Das ist gut. Du übernimmst Verantwortung. Das ist ein guter Anfang. Und du bewahrst einen kühlen Kopf. Um deine Frage zu beantworten: Nein, du kannst es nicht aufhalten.«
»Ich habe Jenny Grünzahn geschlagen!«
»Ein glücklicher Treffer«, sagte Fräulein Tick. »Vielleicht sind schlimmere Geschöpfe als sie unterwegs. Ich glaube, eine Inkursion größeren Ausmaßes steht bevor, und so klug du auch bist, Mädchen: Deine Chancen sind so groß wie die eines Lamms in einer kalten Nacht. Halt dich von der Gefahr fern. Ich versuche, Hilfe zu holen.«
»Was, vom Baron?«
»Meine Güte, nein. Es wäre sinnlos, sich an ihn zu wenden.«
»Aber er beschützt uns«, fügte Tiffany hinzu. »Das sagt jedenfalls meine Mutter.«
»Tatsächlich?«, erwiderte Fräulein Tick. »Vor wem oder was?«
»Nun, vor... einem Angriff, vermute ich. Vor anderen Baronen, sagt mein Vater.«
»Hat er ein großes Heer?«
»Äh, er hat Feldwebel Roberts und Kevin und Neville und Trevor«, sagte Tiffany. »Wir kennen sie alle. Meistens bewachen sie das Schloss.«
»Kennt sich jemand von ihnen gut mit magischen Mächten aus?«, fragte Fräulein Tick.
»Ich habe Neville einmal bei Kartentricks beobachtet«, antwortete Tiffany.
»Sehr unterhaltsam bei einer Party, aber wahrscheinlich ließe sich damit selbst gegen Jenny nicht viel ausrichten«, sagte Fräulein Tick. »Gibt es hier keine an... Gibt es hier überhaupt keine Hexen?«
Tiffany zögerte.
»Es gab da die alte Frau Schnappich«, sagte sie. O ja. Sie hatte ganz allein in einer seltsamen Hütte gewohnt...
»Guter Name«, sagte Fräulein Tick. »Kann aber nicht behaupten, ihn schon einmal gehört zu haben. Wo ist sie?« »Sie starb letzten Winter im Schnee«, erwiderte Tiffany langsam.
»Und jetzt erzähl mir, was du noch nicht erzählt hast«, sagte Fräulein Tick, ihre Stimme scharf wie ein Messer.
»Ah... sie bettelte, glauben die Leute, aber niemand öffnete die Tür, und, äh... es war eine kalte Nacht, und... sie starb.«
»Und sie war eine Hexe?«
»Alle sagten, sie wäre eine Hexe«, sagte Tiffany. Eigentlich wollte sie nicht darüber reden. Niemand in den Dörfern dieser Gegend wollte darüber reden. Und niemand wagte sich in die Nähe der Hüttenreste im Wald.
»Aber du glaubst das nicht?«
»Äh...« Tiffany wand sich hin und her. »Weißt du... der Baron hatte einen Sohn namens Roland. Er war erst zwölf, wenn ich mich recht entsinne. Und letzten Sommer ritt er ganz allein in den Wald, und seine Hunde kehrten ohne ihn zurück.«
»Frau Schnappich wohnte in diesem Wald?«, fragte Fräulein Tick.
»Ja.«
»Und die Leute glauben, sie hat den Jungen umgebracht?« Fräulein Tick seufzte. »Sie nehmen an, Frau Schnappich hätte ihn in ihren Backofen gesteckt oder so.«
»Das haben sie nie gesagt«, erwiderte Tiffany. »Aber ich glaube, es war etwas in der Art, ja.«
»Und ist sein Pferd zurückgekehrt?«, fragte Fräulein Tick.
»Nein«, antwortete Tiffany. »Und das war seltsam, denn wenn es irgendwo in den Hügeln erschienen wäre, hätte man es bestimmt bemerkt...«
Fräulein Tick faltete die Hände, schniefte und lächelte ein Lächeln völlig ohne Freude.
»Das lässt sich leicht erklären«, sagte sie. »Frau Schnappich muss einen sehr großen Backofen gehabt haben.«
»Nein, er war recht klein«, entgegnete Tiffany. »Nur fünfundzwanzig Zentimeter tief.«
»Ich wette, Frau Schnappich hatte keine Zähne und sprach mit sich selbst, oder?«, fragte Fräulein Tick.
»Ja«, bestätigte Tiffany. »Und sie hatte eine Katze. Und sie schielte.« Und dann strömte es aus ihr heraus:
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