06 - Geheimagent Lennet unter Verdacht
Lennet unter Verdacht
Peng!... Peng!... Peng-Peng!
Mal hier, mal dort sprang eine Pappscheibe am Ende des unterirdischen Schießstandes hoch.
Ohne zu zögern, ohne lange zu zielen, aber auch ohne eine einzige Scheibe zu verfehlen, schoß Lennet eine nach der anderen mit seiner automatischen Pistole, Kaliber 22 long rifle, nieder.
Jeden Tag übten die Agenten des F.N.D. auf dem Schießstand. Die Abkürzung F.N.D. bedeutete: Französischer Nachrichtendienst.
Die Sprechanlage wurde eingeschaltet: »222 zu P1. Sofort kommen!«
Das bedeutete: Leutnant Lennet hat sich sofort zu Hauptmann Montferrand, dem Chef der Sicherungsgruppe, zu begeben.
Lennet brach seine Schießübungen ab und eilte in großen Sprüngen die Treppe hinauf.
Bei einer Biegung stieß er mit dem Kopf gegen den mächtigen Wanst eines Mannes in Hauptmannsuniform, der die Treppe gemächlich herunterkam.
»Entschuldigen Sie, Herr Hauptmann! Es tut mir leid!« stieß Lennet hervor, ließ das Geländer los und drückte sich an die Wand.
Der Hauptmann hob höflich seine Hand zur schwarzen Mütze, und ein leichtes Lächeln verzog seine Lippen.
»Macht nichts, junger Mann. Nur ein Glück, daß Sie so schlank sind, sonst müßten Sie bis ins Erdgeschoß zurück, damit wir aneinander vorbeikommen.«
Lennet, der Zivilkleidung trug wie alle Agenten des F.N.D., deutete so etwas wie ein Strammstehen an. Aber während er das breite Gesicht des unbekannten Hauptmanns, seine dicken, viereckigen Brillengläser im Gestell aus Schildpatt, seine Hängebacken, seinen dicken Hals und den mächtigen, in die Uniform eingezwängten Körper betrachtete, konnte er sich des unehrerbietigen Gedankens nicht erwehren: Das ist ja der Frosch aus der Fabel, der so dick werden wollte wie ein Ochse!
Über der Tür von Hauptmann Montferrands Büro brannte das grüne Licht. Lennet trat ein, ohne sich anmelden zu lassen.
»Zur Stelle, Herr Hauptmann.«
Montferrand, ein Mann von fünfundvierzig Jahren mit eisgrauem Haar und Bürstenschnitt, wachsamen Augen und einer Pfeife, die ihm wohl beim Nachdenken half, beobachtete Lennet eine Weile. Dann sagte er:
»Der V.W.W., der Verbindungsstab für Wehrwissenschaft, hat soeben angerufen", erklärte er. »Dem Minister muß ein Brief überbracht werden. Das wird Ihre Aufgabe sein.«
»Hm... Sehr wohl, Herr Hauptmann.«
»Sie sehen so enttäuscht aus.«
»Nein, Herr Hauptmann, das heißt, als Sie mich kommen ließen, hatte ich einen neuen Auftrag erhofft. Den Briefträger zu spielen ist nicht so schrecklich aufregend.«
»Ohne Zweifel. Aber Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß es sich um ein äußerst geheimes Schriftstück handelt, das man nicht jeder beliebigen Ordonnanz überlassen kann. Wie Sie wissen, ist der F.N.D. im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu verpflichtet, die Verbindung zwischen den verschiedenen höheren Dienststellen, die mit der Landesverteidigung zu tun haben, zu gewährleisten. Unter diesen Umständen sehe ich mich gezwungen, die jüngsten und am wenigsten erfahrenen Agenten heranzuziehen, um sie, wie Sie sagen, Briefträger spielen zu lassen.«
»Jawohl, Herr Hauptmann.«
Seltsam, dachte Lennet. Sonst macht der Hauptmann niemals so viele Worte, und für gewöhnlich gibt er auch keine Erklärungen ab für die Befehle, die ich von ihm bekomme.
»Sie nehmen den Dienstwagen", sagte Montferrand.
Lennet betrachtete das Gespräch als beendet. Er schlug die Hacken zusammen und ging zur Tür. Seine Hand lag schon auf der Klinke, als Montferrand ihn zurückrief.
»Lennet!«
»Herr Hauptmann?«
»Sie haben doch schon früher Schriftstücke des V.W.W, überbracht?«
»Jawohl, Herr Hauptmann. Zweimal für das Verteidigungsministerium. Einmal für das Forschungszentrum für kosmische Raketen. Einmal für den Ministerpräsidenten.«
Montferrand nahm die Pfeife aus dem Mund.
»Setzen Sie sich", sagte er.
Lennet folgte der Aufforderung und fragte sich dabei, worauf sein Chef es abgesehen hatte.
»Diese vier Schriftstücke", begann Montferrand mit gleichgültiger Stimme, »enthielten Angaben über Versuche an der neuen französischen Rakete Galaxis. Nur die Beamten, die dem Unternehmen ,Kosmos' angehören, waren befugt, von diesen Dingen zu erfahren. Alle diese Schreiben waren als streng geheim bezeichnet und durften nur von ihren Empfängern geöffnet werden. Nun aber hat man beim Spionage-Abwehrdienst, beim S.A.D., festgestellt, daß der Inhalt dieser vier Schriftstücke dem Nachrichtendienst eines anderen
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