Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine freie Männer

Kleine freie Männer

Titel: Kleine freie Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
bestand, oder mit riesigen Hühnerfüßen umherging, dass sie mit den Tieren sprach und zauberte.
    Tiffany kannte nur eine Alte, die jemals allein in einer seltsamen Hütte gewohnt hatte...
    Nein, das stimmte nicht ganz. Aber sie kannte nur eine Alte, die in einer seltsamen Hütte gewohnt hatte, die sich bewegte, und das war Oma Weh. Sie war zu magischen Dingen fähig gewesen, zu Schafmagie, und sie hatte mit Tieren gesprochen, und es war nichts Böses an ihr gewesen. Was bewies, dass man den Geschichten nicht glauben durfte.
    Und dann gab es da noch die andere Alte, von der alle gesagt hatten, sie wäre eine Hexe. Und was mit ihr geschehen war, hatte Tiffany sehr... nachdenklich gemacht.
    Jedenfalls zog Tiffany die Hexen den geschniegelten hübschen Prinzen vor, und erst recht den dummen, blöde lächelnden Prinzessinnen, die nicht einmal so intelligent waren wie ein Käfer. Immer hatten sie prächtiges blondes Haar, und Tiffany nicht. Ihr Haar war braun, einfach nur braun. Ihre Mutter verglich es manchmal mit Kastanien und Nüssen, aber sie wusste, dass es braun war. Braun wie ihre Augen. Braun wie der Boden. Und hielt das Märchenbuch Abenteuer für Leute mit braunen Augen und braunem Haar bereit? Nein, nein, nein... Es kamen immer nur die Blonden mit den blauen Augen und die Rothaarigen mit den grünen Augen in die Geschichten. Wenn man braunes Haar hatte, war man einfach nur ein Bediensteter oder Holzfäller. Oder ein Milchmädchen. Nun, das würde nicht geschehen, selbst wenn ihr Käse wirklich gut war. Ein Prinz konnte sie nicht sein, und eine Prinzessin würde sie nie sein, und die Rolle des Holzfällers kam ebenfalls nicht in Frage. Sie wollte die Hexe sein und Bescheid wissen, so wie Oma Weh...
    »Wer war Oma Weh?«, fragte eine Stimme.
    Wer war Oma Weh? Diese Frage stellten sich die Leute jetzt. Und die Antwort lautete: Oma Weh war dort. Sie war immer dort. Das Lehen aller Wehs schien sich um Oma Weh zu drehen. Unten im Dorf wurden Entscheidungen getroffen und Dinge erledigt, und das Leben ging weiter in dem Wissen, dass Oma Weh oben im Hügelland in ihrer alten, Schafe hütenden Hütte auf Rädern saß und alles im Auge behielt.
    Und sie war die Stille der Hügel. Vielleicht mochte sie Tiffany deshalb, auf ihre unbeholfene, zögernde Art und Weise. Ihre älteren Schwestern schwatzten, und Oma mochte keinen Lärm. Tiffany schwieg, wenn sie oben bei der Hütte war. Es gefiel ihr einfach, dort zu sein. Sie beobachtete die Bussarde und lauschte dem Ton der Stille.
    Dort oben hatte die Stille einen Ton. Stimmen und Geräusche von Tieren schwebten nach oben zum Kreideland, machten die dortige Stille tief und komplex. Und Oma Weh wickelte diese Stille um sich und machte in ihrem Innern Platz für Tiffany. Auf der Farm herrschte immer rege Betriebsamkeit. Dort gab es zu viele Menschen mit zu viel Arbeit. Zeit für Stille gab es ebenso wenig wie Zeit zum Zuhören. Aber Oma Weh war still und hörte die ganze Zeit über zu.
    »Was?«, fragte Tiffany und blinzelte.
    »Du hast gerade >Oma Weh hörte mir immer zu< gesagt«, meinte Fräulein Tick.
    Tiffany schluckte. »Ich glaube, meine Großmutter war ein wenig Hexe«, sagte sie nicht ohne Stolz.
    »Im Ernst? Wie kommst du darauf?«
    »Hexen können Leute verfluchen, nicht wahr?«, fragte Tiffany.
    »So heißt es«, antwortete Fräulein Tick diplomatisch.
    »Mein Vater sagte einmal, Oma Weh konnte den Himmel blau fluchen.«
    Fräulein Tick hüstelte. »Fluchen ist nicht gleich Fluchen. Es gibt das harmlose Fluchen, in der Art von >verflixt<, >Mist<, >zum Teufel auch< und so weiter. Richtiges Fluchen klingt eher wie >Ich hoffe, dass dir die Nase explodiert und die Ohren davonfliegen!<«
    »Ich glaube, Omas Fluchen kam dem richtigen Fluchen recht nahe«, sagte Tiffany bestimmt. »Und sie sprach mit ihren Hunden.«
    »Und was sagte sie zu ihnen?«, fragte Fräulein Tick.
    »Oh, Dinge wie >hierher< und >zu mir< und >das genügt<«, erwiderte Tiffany. »Die Hunde haben ihr immer gehorcht.«
    »Aber das sind doch nur Schäferhundbefehle«, sagte Fräulein Tick und winkte ab. »Von Hexerei kann da keine Rede sein.«
    »Aber dadurch werden sie zu Intimi«, entgegnete Tiffany verärgert. »Hexen haben Tiere, mit denen sie sprechen, Intimi genannt. Wie deine Kröte.«
    »Ich bin nicht intim«, erklang eine Stimme zwischen den Papierblumen.
    »Und sie kannte alle Arten von Kräutern«, beharrte Tiffany. Oma Weh sollte eine Hexe sein, und wenn sie den ganzen Tag reden musste.

Weitere Kostenlose Bücher