Kleine Luegen erhalten die Liebe
würde). Aber sie wusste auch, dass Olivia, wenn es andersrum gewesen wäre, schon Wochen vorher die ganze Truppe mobilisiert und sie alle diese mörderischen Hügel zum Williamson’s Park hätte hinaufmarschieren lassen. Und sie hätte Kuchen und Kerzen mitgebracht – und wahrscheinlich sogar einen Sängerchor, wie Mia sie kannte. Sie konnte siesich sogar alle vorstellen: Liv ganz vorn und alles schleppend, Melody, die mit hohen Absätzen und einem etwas zu engen Kostümchen hinterherstolperte und sich beschwerte, der Kuchen sei prollig und warum sie nicht einen bei Marks gekauft hatten. Norm als Letzter, sodass er laufen musste, um die anderen einzuholen, und Anna … Nein, Anna wäre vermutlich noch nicht da gewesen, nachdem sie nach irgendeinem One-Night-Stand erst vor etwa einer Stunde das Bett in Tooting verlassen hätte, und schließlich Fraser – der reizende Fraser Morgan … Was hätte er getan? Wahrscheinlich wäre er noch schnell zum nächsten Spirituosenladen gelaufen, nachdem er in allerletzter Minute beschlossen hatte, dass der Anlass Alkohol erforderte.
Mia dachte an Fraser, ganz allein in seiner Wohnung in Kentish Town, die er früher mit Liv geteilt hatte, und wurde von einer Flut von Zuneigung zu ihm erfasst. Der arme Fraser – sie musste ihn anrufen, sobald sie hier fertig war, weil der heutige Tag für ihn besonders schwer sein würde. Sie stellte sich vor, wie er erwachte, sich des Datums und Livs schmerzlicher Abwesenheit in der Wohnung gewahr wurde und wie die Erinnerungen ihn überschwemmten, noch schärfer und bitterer denn je. In Momenten wie diesem wünschte sie, Fraser würde nach Lancaster zurückkehren, damit sie ihn im Auge behalten konnte.
»Tja, was gibt’s sonst noch Neues?« Mia zog ihre Ärmel über die Hände und blies darauf, um sie zu wärmen. »Oh ja … Billy. Mein Sohn. Den hätte ich doch fast vergessen! Ich kann’s kaum glauben, dass er schon beinahe acht Monate alt ist. Wo zum Teufel ist die Zeit geblieben seit seiner Geburt? Wenn ich zurückblicke, kann ich mich an nichts erinnern. Ich muss es ausgeblendet haben. Na ja, die gute Neuigkeit ist auf jeden Fall, dass er weder meine Schweineöhrchen noch mein vorstehendes Kinn geerbt hat … obwohl Letzteres im Moment noch schwer zu sagen ist bei seiner pummeligen Kinnpartie. Die schlechte Nachricht ist, dass er alles andere von Eduardo hat. Er ist buchstäblich sein Double, was mich maßlos ärgert, wie du dir sicher vorstellen kannst: die gleichen schönen grünen Augen, die dicht zusammenstehenden brasilianischen Augenbrauen, der gleiche schmollende Gesichtsausdruck, wenn er nicht kriegt, worauf er ein Recht zu haben glaubt … Ich hoffe nur bei Gott, dass er nicht auch Eduardos absolute Respektlosigkeit Frauen gegenüber geerbt hat.
Ach, Olivia, warum habe ich nicht auf dich gehört, als du sagtest, ›vertraue keinem Mann, der sogar drinnen eine Sonnenbrille trägt‹? Eduardo hat sich als nutzloser Gockel herausgestellt, was nicht weiter überraschend ist, aber in irgendeinem Teil meines erbsengroßen Hirns habe ich wohl doch gedacht, er würde sich noch ändern. Was er jedoch leider nicht getan hat. Seit ich Billy habe, hat er ihn acht Mal gesehen. Acht Mal in fast acht Monaten! Erbärmlich, was?«
Mia konnte wieder die vertraute Wut in sich aufsteigen spüren, Wut von der Sorte, die sie in Versuchung führte, mit der Faust gegen die Wand zu schlagen – oder vielmehr in Eduardos dämliches Gesicht. Es war dieses unerträgliche Gefühl der Ungerechtigkeit, das sie stets ergriff, wenn sie an Eduardo dachte. Was sie jedoch wirklich auf die Palme brachte, war, dass er eigentlich nur ein Sommerflirt hatte sein sollen und nicht der (völlig unbrauchbare) Vater ihres Kindes. Sie war etwa ein Jahr mit ihm zusammen gewesen, als sie schwanger geworden war, doch sie hatte immer gedacht, er sei »gut genug für den Moment« und die Beziehung würde ohnehin irgendwann im Sand verlaufen. Wenn sie ehrlich sein sollte, hatte sie sogar irgendwie ganz fest damit gerechnet.
Zu Anfang hatten sie ständig Krach gehabt, doch obwohl siesich heute schämte, es zuzugeben, hatte ein Teil von ihr das für cool und romantisch gehalten. Wenn sie in ihren Zwanzigern keine temperamentvolle Beziehung zu einem heißblütigen Latino haben konnte, wann denn dann? Sie hatte sich Eduardo und sich in einem dieser ausländischen Schwarz-Weiß-Filme vorgestellt, für die sie eines Tages gern ein Drehbuch schreiben würde, in dem nicht
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