Kleine Morde für Zwischendurch #1 (German Edition)
lehnt sich genussvoll zurück.
„Das ist zuhause“, sagt sie und atmet tief aus.
Ja, ein echtes Zuhause hat Gianna nicht. Obwohl sie eine grundsolide Ausbildung als Apothekerin hat, ist sie seit über zwanzig Jahren als Reisejournalistin und –autorin tätig und reist ständig durch die Welt. Aus unzähligen Städten in unzähligen Ländern besitze ich Ansichtskarten – einen ganzen Karton voll. Selbst heute, im Zeitalter der e-mails, die wir ständig austauschen, flattern mir tropische Landschaften oder Eisberge in den Schneckenpostkasten.
Sie fällt über meine Bruschetta her.
„Wie bei Mamma!“, lobt sie. Kein Wunder, Kochen habe ich schließlich schon als Dreizehnjährige bei ihrer Mamma gelernt. Obwohl meine Mutter das zuerst zu verhindern suchte. Aber dann stürzte sie aus dem Kirschbaum und war so damit beschäftigt, wieder gehen zu lernen, dass es ihr egal war, ob ich Sauerbraten auf den Tisch brachte oder Lasagne al forno.
„Erzähl!“, drängle ich. „Wie lange bleibst du?“
„Nur ein paar Tage“, sagt sie und lächelt ihr unnachahmliches Gianna-Lächeln. „Nur um nach dem Rechten zu sehen und auf dich aufzupassen!“
Das sagt sie immer. Und wie immer lache ich.
Sie erzählt von ihrem neuen Buchprojekt. Südafrika. Wir erinnern uns an die Zeit, als wir Obst vom Kap boykottierten und aus vollem Halse sangen: ‚Free Nelson Mandela’.
Die Flasche Prosecco ist leer, ich hole die zweite. Dann erzähle ich von Tina und Max und wie schön es trotz allen Abschiedsschmerzes ist, dass ich mich nicht mehr um die Kinder kümmern muss. Wir sprechen auch über Rolf.
„War das nicht wunderbar für dich, dass er den Herzinfarkt hatte, bevor ihr geschieden wurdet?“, fragt Gianna.
So habe ich das bisher noch nicht betrachtet, aber ich muss ihr Recht geben. Rolfs Witwe zu sein erleichtert die Sache ungemein. Die Wohnung gehört jetzt mir, sein Auto, seine Lebensversicherung...
Wir schweigen eine Weile. Ich überlege, ob ich ihr jetzt gleich von Christopher erzählen soll. Vielleicht findet sie ja, ich stürze mich zu schnell wieder in eine Beziehung?
„War gar nicht so einfach, die richtige Dosierung zu finden“, murmelt Gianna.
Irgendwie ist die zweite Prosecco auch schon leer. Ich hole die Cannelloni aus dem Ofen und dazu eine Flasche Chianti. Was für eine Dosierung?
„Letzte Woche hab ich Marie getroffen“, erzähle ich, während ich die Canneloni auf meine neuen weißen Teller balanciere.
„Marie?“
„Die Schwester von Holger aus unserer Klasse – der Motorradfreak, du weißt schon!“
Gianna nickt. „Der dir damals auf der Abiparty an die Wäsche ging!“
Ich fühle, dass ich rot werde. Die Episode mit Holger gehört nicht zu meinen rühmlichen Erinnerungen. Zugegeben, ich hatte heftig mit ihm geflirtet. Aber dass er mein letztes Nein nicht akzeptierte und versuchte mich zu vergewaltigen, damit hätte ich nie gerechnet. Glücklicherweise konnte ich mein Knie gegen sein hervorragendes Stück rammen und abhauen. Gianna regte sich ziemlich auf und wünschte ihm auf Italienisch den Tod an den Hals. Erfolgreich, denn auf dem Heimweg versagten auf der regennassen Fahrbahn die Bremsen seines Motorrads. Den Sturz überlebte er nicht.
„Papa war ein sehr guter Mechaniker und ich habe viel von ihm gelernt“, sagt Gianna. Ich verstehe den Zusammenhang nicht, erinnere mich aber an Gianna im Blauen Anton. Sie hat ihrem Vater immer gerne in der Werkstatt geholfen.
Was wollte ich noch erzählen? Irgendwie hab ich den Faden verloren.
„Du bist meine beste Freundin“, sagt Gianna zwischen zwei Bissen Canneloni. „Wenn du ein Problem hast, sag mir Bescheid, damit ich es lösen kann!“
Im Augenblick habe ich kein Problem. Höchstens die Kleinigkeit mit Christopher.
Das war nicht immer so. Zum Beispiel war mein ganzes Studium ein einziges Problem. Ich war nicht gerade zum Studieren geboren, aber es hätte alles einigermaßen laufen können, wäre da nicht Professor Bock gewesen. Der hatte mich ja so was von auf dem Kieker! Und ich musste auch noch bei ihm in die Prüfung! Gianna brachte mich nur mühsam dazu, überhaupt hin zu gehen. Und dann war der Bock gar nicht da, sondern irgendein anderer Prof. Vor lauter Erleichterung schaffte ich sogar eine Zwei. Gut, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass der gute Professor Bock im Gedränge des Bahnhofs vor einen einfahrenden Zug gestürzt war. Sonst hätte es mir vielleicht die Sprache verschlagen.
„Wie geht’s deinen
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