Kleiner Musicalratgeber für Anfänger und Fortge
zulassen, veranstalte ich nämlich gerne einen Show-Marathon, der meist aus zwei bis vier Shows besteht!
So gerate ich eben immer wieder in diese Lage, in der ich vollkommen platt das Gefühl eines Schlückchens Wasser in der Kurve absolut nachvollziehen kann. Die Frage nach dem »Warum« ist damit aber immer noch nicht endgültig geklärt. Normalerweise müsste es doch in der menschlichen Natur liegen, ein solch irrationales Verhalten, was zudem oft zu Ermüdungs- und Erschöpfungserscheinungen führt, abzustellen, oder? Es sei denn... es sei denn, es handelt sich um eine Sucht!
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Je mehr ich mir jetzt meinen Blogeintrag durch den Kopf gehen lasse und darüber nachdenke, desto mehr gelange ich zu der Überzeugung, dass Musicalitis im Grunde doch genau das ist: Eine Sucht! Alle klassischen Symptome sind jedenfalls da. Zum einen hätten wir da ein auslösendes Erlebnis , was in uns den Wunsch nach mehr weckt. Bei mir war das damals, ich erinnere mich genau, ein TV-Auftritt des Hamburger Ensembles des Klassikers »Das Phantom der Oper«. Dürfte gut und gerne 20 Jahre her sein, aber darüber denke ich jetzt besser nicht nach. Verstärkt wurdedieses Erlebnis durch das Anhören der Cast-Kassetten. Ja, in der grauen Vorzeit gab es noch Kassetten... wer mit dem Wort nicht mehr vertraut ist, möge es doch bitte ergoogeln. Als Problem erwies sich dann allerdings, dass ich zu jener Zeit noch nicht über eigenes Geld verfügte und mir also folglich nur eine Option blieb: Meine Eltern solange zu nerven, bis sie mit mir nach Hamburg fuhren, wo ich selig (und wahrscheinlich auch sehr dümmlich) grinsend drei Stunden lang im siebten Himmel schwebte. Dieses erste Musicalerlebnis und den subtilen Geruch von Theater-Schminke in der Luft werde ich nie vergessen. Bis heute liebe ich »Das Phantom der Oper« abgöttisch.
Auf diese Art und Weise angefixt, kommt jede Hilfe zu spät, wenn das Opfer erst einmal über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, um seiner Sucht zu frönen. In regelmäßigen Abständen braucht es jetzt eine frische Dosis Musicalerlebnis, um sich wieder pudelwohl zu fühlen. Bei einigen Musicalitis -Befallenen konzentriert sich die Sucht allerdings nur auf ein oder zwei spezielle Musicals oder aber auf ein- oder zwei Musicaldarsteller, die man immer wieder sehen muss . Andere Musicalitis-Befallene hingegen möchten möglichst viele Musicals sehen und immer wieder neue Stüc kekennen lernen. Eins aber eint wohl alle: Die frische Dosis Musicalerlebnis ist umso wirkungsvoller, je weiter vorne man im Zuschauerraum sitzt. Eigentlich sind Musicalitis-Befallene fast ausschließlich in den ersten Reihen eines Theaters zu finden, schließlich wollen sie alles möglichst pur und hautnah erleben! Für das Privileg, weit vorne und mittig zu sitzen, werden dabei eine Menge Opfer (nicht nur finanzieller Art) gebracht. So ist es in Musicalitis-Kreisen eine ganz normale Handlung, sich für Samstag um acht Uhr morgens den Radiowecker zu stellen, damit man auch ja nicht den um 8:30 Uhr startenden Vorverkauf für eine begehrte Veranstaltung verpasst.
Egal aber an welcher Unterart der Musicalitis man leidet, alle Süchtigen kennen den chronischen Geldmangel, welcher als Nebenwirkung dieser Erkrankung auftritt. So gehen uns die Sätze: »Buchen Sie es bitte von meiner Kreditkarte ab« oder alternativ »Meine Bankverbindung lautet... «ganz automatisch von den Lippen. Es entsteht zudem ein ganz anderes Verhältnis zum Geld, was sich zum Beispiel darin zeigt, dass der Musicalitis-Befallene automatisch dazu neigt, sein Monatsgehalt in die Anzahl von Karten umzurechnen, die er sich dafür leisten könnte. Mit außerplanmäßigem Geldsegen, wie er etwa bei einer Steuerrückzahlung auftritt, wird auf die gleiche Weise verfahren.
Diese seltsame Beziehung zum Geld, die im Verlaufe einer Musicalitis-Infizierung immer offenkundiger zutage tritt, zeigt sich auch in Ausrufen wie: »Die Karte kostet nur 80 Euro? Das geht ja noch!« Während andere Musicalitis-Befallene in Reaktion darauf nur zustimmend mit dem Kopf nicken, können Außenstehende nur schwer nachvollziehen, dass eine solcheBemerkung ernst gemeint ist. Außerdem können wir über die Frage des freundlichen Bankberaters unseres Vertrauens, ob uns eigentlich Anteile von gewissen Ticketfirmen gehören, nur müde lächeln. »Anteile? Mir gehört mittlerweile der ganze Laden!«, habe ich so schon mehr als einmal auf diese Frage entgegnet – allerdings stumm, versteht sich.
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