Die geheimen Jahre
1
DIE KONTUREN DER fernen Hügel verschmolzen in einem kupferroten Sonnenuntergang. Thomasine kniete im Staub, sah einen Moment auf und wurde von der Sonne geblendet. Der Wind pflügte einen geisterhaften Pfad durchs Elefantengras, im Tal zupften ein paar magere Kühe welke Blätter von den Bäumen. Das Kind hielt sich die Hand vor die Augen, so daà der Blick verschwamm, die Hügel sich auflösten, flach wurden, und die Strahlen der afrikanischen Sonne sich in schmale Streifen goldenen Wassers zu verwandeln schienen.
Es hatte andere Farmen an anderen Orten gegeben. Jede Reise, sagte Papa, führe an einen besseren Ort, den richtigen Ort. Einmal hatten sie eine ganze Herde von Kühen besessen (Thomasine hatte allen Namen gegeben), aber jetzt waren es nur noch wenige.
Einmal hatte ein Sturm das Strohdach von der Hütte gerissen, aber Papa und der Junge sammelten das verstreute Stroh einfach wieder auf und banden es fest. Der Junge erklärte Thomasine, daà das Land, das sie vom Häuptling gepachtet hatten, schlechtes Land sei, Ju-Ju-Land, weshalb es auch noch niemand bebaut hatte. Thomasine fragte ihre Mutter nach dem Ju-Ju-Land. Gott erschuf die Welt in sieben Tagen, sagte Patricia Thorne. Wie sollte dann ein winziger Teil davon schlecht sein? Doch im Tausch gegen eine Locke von Thomasines rotbraunem Haar zeigte ihr der Junge die Höhlen, die die Medizinmänner benutzten. Die Höhlen waren kalt und hallten von Erinnerungen wider, ihre Eingänge führten in eine andere Welt. Wieder drauÃen im Licht, schnitt sie mit dem Messer des Jungen eine Strähne ihres roten Haars ab, die der Junge ehrfurchtsvoll und ängstlich betrachtete, bevor er sie zu einem Knoten band und in das Amulett an seinem Hals steckte.
Ein Mann und eine Frau von der baptistischen Mission besuchten die Thornes. Papa hatte eine der mageren Kühe geschlachtet, so daà es an diesem Tag Fleisch gab. Das Rindfleisch war zäh und schmeckte nach nichts. Der Junge und sein Vater aÃen mit ihnen, wie sie es immer taten, doch als die Männer zur Arbeit gingen und Patricia Thorne den Tee bereitete, sagte die Missionarin: »Aber sie sind schmutzig, meine liebe Mrs. Thorne. Im vergangenen Monat hat es mehrere Fälle von Gelbfieber gegeben. AuÃerdem müssen wir ihnen doch zeigen, wo ihr Platz ist.« Patricia goà den Tee ein und antwortete: »Aber sind wir denn vor Gott nicht alle gleich, Miss Kent?«
Eines Abends nahm der Junge Thomasine mit ins Dorf, damit sie beim Tanzen zusehen konnte. Das Mondlicht und die Feuer beleuchteten die Körper der Eingeborenen, die sich wie Schilfrohr im Wind wiegten und Geschichten in den staubigen Boden zeichneten. Die Männer trugen Masken: vergröÃerte und übertriebene Fratzen des menschlichen Gesichts. Das Schlagen der Trommeln dröhnte durch die Nacht, so daà auch Thomasine unwillkürlich ins Tanzen verfiel. Als die Musik aufhörte, fiel sie, von einem Gefühl der Verlassenheit überwältigt, zu Boden. Eine der Frauen half ihr beim Aufstehen und gab ihr zu trinken, eine andere schenkte ihr Perlen und ein Stück scharlachfarbenes Tuch. Eine dritte strich mit schwarzblauen Händen über ihr langes offenes Haar und redete auf die anderen Frauen in einer Sprache ein, die das Kind nicht verstand.
Mit Hilfe ihrer Mutter nähte Thomasine aus dem scharlachfarbenen Stoff einen Rock. Der Himmel blieb blau und wolkenlos. Der Weizen, der Thomasine bis zu den Knien gereicht hatte, hörte auf zu wachsen. Sie fragte ihren Vater und zog an den Zipfeln ihres Rocks, als sie über die verdorrten Felder gingen. »Der Regen ist nicht gekommen, und der Boden ist schlecht«, sagte Thomas Thorne. Ju-Ju-Land, dachte Thomasine und erschauderte. Ein paar Tage später pflückte sie einen Weizenhalm, zerrieb ihn zwischen den Fingern, und er zerbröselte wie altes Papier.
Es waren nur noch drei Kühe übrig, von denen keine Milch gab. Der Himmel war hart und metallisch wie eine Messingschüssel. Thomasine half ihrem Vater, Wasser vom Fluà heraufzutragen, aber das FluÃwasser war moderig und grünlich, und das Schlammbett brach in Risse wie ein Mosaik. Die Leute verlieÃen das Dorf, gefolgt vom langen Strom ihrer Tiere, und die farbigen Kleider der Frauen waren nur noch eine Erinnerung in der Landschaft aus Staub und Ocker. Der Junge und sein Vater gingen mit ihnen fort.
Thomasines Vater wurde dünner, ihre
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