Kleines Lexikon christlicher Irrtümer - von Abendmahl bis Zungenreden
Menschen offenbart und ihnen damit den Weg hin zu sich eröffnet hat. Eine schöne und als Glaubensaussage akzeptable Vorstellung. Problematisch wird es allerdings, wenn der Absolutheitsanspruch ins Spiel kommt: »Niemand kommt zum Vater denn durch mich« – und behauptet wird, die Menschheit finde ihre Erfüllung nur, wenn alle diesen einen Weg gehen. Lässt sich ein solcher Anspruch heutzutage überhaupt noch glaubwürdig vertreten?
Ja, meint die katholische Kirche bis heute — während der Protestantismus sich nicht festlegen mag – und fordert zusätzlich die Anerkennung der Autorität der Kirche als Vermittlerin der Wahrheit. Da die Kirche jedoch auch ein Interesse an dieser Vermittlung hat, sieht sie Angehörige anderer Religionen nicht etwa sofort als verloren an, sondern richtet ihr Augenmerk auf »das Religiöse« an diesen Religionen und erkennt dies an, da nur so eine Auseinandersetzung mit Andersgläubigen möglich sei. Fragt sich nur, wer festlegt, was »das Religiöse« eigentlich ist und wie dialogbereit sich die Kirche zeigt, wenn die Andersgläubigen
einfach nicht einsehen wollen, dass allein die katholische Kirche den richtigen Weg kennt.
Geschichtlich gesehen, ist der Absolutheitsanspruch eine recht junge Erscheinung. Zwar tauchen, wie an Jesu Aussage im Johannesevangelium zu erkennen ist, ähnliche Gedanken schon in der Bibel auf. Allerdings sollte man sich bewusst machen, dass Bibeltexte Glaubensaussagen von Menschen formulieren, die für ihre Überzeugungen werben wollten, und nicht in erster Linie als Selbstdefinition einer Religion zu lesen sind. Das Johannesevangelium beispielsweise wurde erst rund 100 Jahre nach Jesu Tod aufgeschrieben, es ist also relativ unwahrscheinlich, dass Jesus selbst diese Aussage formuliert hat. Viel wahrscheinlicher ist es, dass ihm der schon gewachsene Glaube seiner Anhänger in den Mund gelegt wurde, um die ersten Christen im Glauben zu bestärken.
Zur Zeit der Aufklärung wurde den Menschen immer bewusster, dass die Vorstellung von der einen wahren Religion kaum zu halten ist. Der Absolutheitsbegriff, der von der Vorstellung, alle anderen Religionen führten auf direktem Weg ins Verderben, bis zu der Vorstellung, alle Religionen würden sich im Laufe der Geschichte hin zum Christentum entwickeln, die unterschiedlichsten Denkmodelle hervorbrachte, konnte das Problem allerdings auch nicht lösen. Eine Position, die auch heute noch bedenkenswert scheint, stellte Lessing mit seiner Ringparabel in »Nathan der Weise« dar: Die Menschen können gar nicht erkennen, welche Religion die wahre ist und ob nur eine oder doch alle auf unterschiedliche Weise zum Ziel führen. Nicht die einzelne Religion steht im Mittelpunkt, sondern das Ziel, auf das sie alle zuführen und das wir Menschen nur unterschiedlich zu erklären versuchen. Eine reizvolle Position, die allerdings, wenn sie zu dem Eindruck führt, letztendlich sei alles gleichgültig, ihr Potenzial nicht ausschöpft. Denn ohne die Verankerung in einer konkreten Glaubensgemeinschaft verliert jeder Glaube schnell seine Grundlage. Als (protestantischer) Christ kann ich glauben, dass der Weg zum Ziel über den Glauben an Jesus Christus führt,
aber ich kann nicht wissen, ob dies der einzige Weg für alle ist. Dennoch gibt es auch unter evangelischen Christen Verfechter eines rigorosen Absolutheitsanspruchs. In der Überzeugung, den richtigen Weg gefunden zu haben und Gottes Willen wortwörtlich aus der Bibel ablesen zu können, grenzen sie sich einerseits strikt gegen alles ab, was ihren Glauben in Frage stellen könnte, und versuchen andererseits mit großem missionarischem Eifer die Menschheit zu ihrem Glauben zu bekehren. Dafür, dass ein solches Verhalten einem friedlichen Zusammenleben auf der Welt nicht dienlich ist, hält die Geschichte unzählige Beispiele bereit. Echter Glaube lässt sich eben nicht erzwingen.
Was aber lässt sich dann tun, wenn ich mir angesichts der unzähligen Möglichkeiten, die mir offenstehen, gar nicht mehr sicher sein kann, was überhaupt richtig oder falsch ist? Wie einfach wäre es doch, wenn man nur die Bibel aufschlagen und nach passenden Versen für seine Überzeugung suchen müsste, um sich bestätigt und seines Glaubens sicher zu fühlen. Wenn es Prediger gäbe, die mir klar sagten, wo es langgeht. So einfach ist es nicht und das ist gut so. »Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?« Wenn man nicht alles
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