Kleines Lexikon christlicher Irrtümer - von Abendmahl bis Zungenreden
Südländer. Aber ob Jesus, dem Gebote nur wichtig waren, wenn sie der Entscheidung der Menschen für Gott dienten, sich an die alttestamentliche Vorschrift »Ihr sollt euer Haar am Haupt nicht rundherum abschneiden noch euren Bart stutzen« (3. Mose 19,27) hielt oder nicht, wissen wir nicht. Auch wenn es in unserer an Bildern orientierten Zeit noch so faszinierend erscheint, nach dem wahren Aussehen Jesu zu forschen – was gelegentlich zu seltsamen Auswüchsen führt, so präsentierte der Sender BBC vor einigen Jahren ein angeblich wissenschaftlich rekonstruiertes Bild, das Jesus als einen urwüchsigen Typen mit breiter Nase und wirrer Kurzhaarfrisur zeigt –, vielleicht sollten wir uns lieber an das alte Gebot halten: »Du sollst dir kein Bildnis machen« (5. Mose 5,8). Schließlich kommt es auf Jesu Aussehen wirklich nicht an, sondern auf seine Botschaft.
Bei den Evangelischen gibt es keine BEICHTE
Kommt man als evangelischer Christ in eine katholische Kirche, fallen einem schnell einige Einrichtungsgegenstände auf, die man aus der eigenen Kirche nicht kennt. Vom Weihwasserbecken über den Tabernakel bis hin zu Heiligenfiguren und -altären. Am auffälligsten aber sind – besonders in älteren Kirchen – die großen schrankartigen Beichtstühle. Manch ein Film mag dem befremdeten
Protestanten dann in den Sinn kommen, Gedanken an sündige Taten, das Beichtgeheimnis und sich daraus ergebende Verstrickungen, zehn Ave Maria für den begehrlichen Blick in Richtung Nachbarsjüngling — nein, so etwas gibt es bei den Evangelischen doch nicht! Oder?
Abgesehen davon, dass es so klischeehaft auch bei den Katholiken normalerweise nicht zugeht, die Beichte gibt es sehr wohl auch bei den Protestanten. In vielen lutherischen Gottesdiensten zum Beispiel gut versteckt als gemeinsames Sündenbekenntnis kurz vor der Abendmahlsfeier. Aber auch besondere Beichtgottesdienste sind möglich und auf Wunsch die Einzelbeichte, die allerdings auf reformierter Seite eher kritisch gesehen und dort noch seltener praktiziert wird als in lutherischen Gemeinden. Martin Luther kritisierte an der katholischen Beichtpraxis und den dahinterstehenden Vorstellungen zwar, dass der Mensch gar nicht in der Lage sei, sich all seiner Sünden bewusst zu werden, um sie zu bereuen, und dass er sich auch nicht durch Taten der Genugtuung davon befreien könne, da er allein auf die Gnade Gottes angewiesen sei. Dennoch hielt er ausdrücklich an der Beichte als wirksamer Möglichkeit zur Versöhnung mit Gott und den Mitmenschen fest. Er selbst, der immer wieder von starken Selbstzweifeln gequält wurde, beichtete regelmäßig, zeitweise sogar täglich, und meinte: »Ja, ich wäre längst vom Teufel erwürgt, wenn mich nicht die Beichte erhalten hätte.«
Beim BETEN muss man die Hände falten
»Wir sind Christen, falten unsere Hände / Schließen dabei die Augen zu / Preisen Gott und die geistige Wende / Spielen Blindekuh / Wir wollen unseren Herren loben / Alles Gute kommt von oben«, sang Herbert Grönemeyer in den achtziger Jahren. Aber ist das wirklich Beten: fromm die Hände falten, Augen schließen,
ein Vaterunser dahersagen und sich als der bessere Mensch fühlen, während nebenan Feindschaft und Zerstörung herrschen? Auf Äußerlichkeiten und demonstrative Frömmigkeit kann es wohl nicht ankommen. »Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist« (Matthäus 6,6), sagt Jesus in der Bergpredigt, gibt aber an keiner Stelle eine bestimmte Körperhaltung als verbindlich vor. Offensichtlich kommt es also eher auf die innere als auf die äußere Haltung an, die allerdings durchaus die innere Haltung widerspiegeln kann. So vielfältig wie die Anlässe eines Gebets können auch die Körperhaltungen sein. In der Bibel ist oft vom Erheben der Hände die Rede, eine Geste, die Empfangsbereitschaft ausdrückt; aber auch das Niederknien oder -fallen als Geste der Demut vor Gott scheint üblich gewesen zu sein. Das Falten der Hände dagegen kam erst spät und vermutlich in Anlehnung an einen Brauch des mittelalterlichen Lehnsrechts im Abendland auf. Die Lehnsleute verpflichteten sich ihren Lehnsherren gegenüber symbolisch, indem sie ihre aneinandergelegten Hände in die Hände ihrer Herren legten. Diese Geste sollte Treue und friedliche Absichten zum Ausdruck bringen und schien daher auch Gott gegenüber als besonders angemessen. Heute wird meist argumentiert, das Händefalten trage zur
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