Kleines Lexikon psychologischer Irrtümer - von Abhängigkeit bis Zwangsneurose
Über-Ich hat. Da die beiden sich einfach nicht einig werden und das Ich daran hindern, sich mit der schmutzigen und verdorbenen Realität zu arrangieren, wird er niemals arbeitslos, der Therapeut. Angenehme Privatpatientinnen werden mit Floskeln bei der Stange gehalten wie: »Sie träumen so brav und Sie assoziieren so schön«, oder »alles, was Sie zur Genesung brauchen, haben Sie in sich, Ihnen fehlt nur der Zugang«. Selbstwertstärkendes
Gesülze mit empathischem Abgang, Marke Sigmund Freud, Spätlese 1939. Der Therapeut wird niemals beschäftigungslos. Es sei denn, es kommt zur Pandemie, zum Meteoriteneinschlag oder zum Dritten Weltkrieg. Wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann hat die letzte Stunde des Therapeuten-Softis geschlagen, und Typen wie Ferdinand Sauerbruch werden eine gewisse Renaissance erfahren.
Unbewusst
Das Totschlagargument der Psychoanalyse schlechthin. Tatsächlich ist es gleichbedeutend mit: Mir fällt nichts anderes ein.
Urschrei
Wem die gängigen Psychotherapieformen nichts gebracht haben, der muss ganz von vorne anfangen. Nicht unbedingt beim Urknall, aber zumindest beim Urschrei. Damit nichts in die Hose geht, ziehen die Kenner der Urschrei-Szene vorher die Windeln an. Frisch gewickelt und gepudert nehmen sie sich gegenseitig an die Hand und schreien aus Leibeskräften fünf Sekunden lang. Wer ein Faible für so etwas hat, kann im realen Leben auch schon mal ganz schnell vor die Wand laufen – natürlich mit hysterisch schreiender Grundhaltung.
V
Verlustängste
Wenn es um rotzfreche und dennoch liebenswerte Enkel, unzuverlässige und fremdgehende Männer, rauchende und saufende Väter und Mütter geht, dann besorgen Sie sich einen Überweisungsschein für Psychotherapie bei Ihrem Hausarzt um die Ecke, und das Gejammer und Gejanke kann endlich losgehen.
Versorgung, psychosoziale
Was die Medizin nicht mehr hinkriegen kann, dass erledigt die psychosoziale Versorgung. Eine demnächst staatlich verordnete, lebenslängliche Schnullerprothese für die weniger Erfolgreichen. Nachdem die Sozialutopisten der WHO Gesundheit als einen Zustand vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens definiert
haben, werden Befindlichkeitsstörungen und Mangelempfindungen niemals ausgehen. Und wer am lautesten schreit, wird am besten versorgt, mögen die Anliegen auch noch so skurril sein.
Verständnis
Dies zu haben, dafür wird er bezahlt, Ihr Therapeut. Doch Vorsicht, auch hier gilt: Wer Verständnis für alles hat, kann nicht ganz dicht sein.
W
Wasserlassen, schamhaftes
Auch Paeruresis genannt. Die Betroffenen haben erhebliche Schwierigkeiten, eine öffentliche Toilette zu benutzen. Sie fühlen sich beobachtet, meinen, andere zu stören, und infolgedessen kann sich ein Wasserlassen nicht entwickeln.
Wenn die Herren der Schöpfung eine öffentliche Toilette benutzen und sowohl der Meinung sind, dass Gott ihnen zuschaut, als auch den Eindruck haben, dass der urinierende Nachbar ihre Penislänge kritisch beäugt, dann liegt schamhaftes Wasserlassen vor, eine streng behandlungsbedürftige Erkrankung. Therapeutisch wird den Betroffenen empfohlen, mit einer halbvollen Wasserflasche auf einer öffentlichen Toilette Plätschergeräusche zu erzeugen, um zu erleben, »was dies dann mit einem macht«.
Mal ehrlich: Was ist von Psychotherapeuten zu halten, die sich angesichts bedeutsamer neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, MS
und Schizophrenien mit solch einem hyperindividualistischen Schnickschnack ernsthaft auseinandersetzen und ihn zu einer behandlungsbedürftigen Krankheit hochstilisieren? Manche Fragen beantworten sich von selbst.
Exkurs
Wasser
Wasser trinken soll »in« sein, und Promis machen es vor. Anders als diese mediengeleiteten Lemminge sollten Sie nicht ständig mit einer Wasserflasche durch die Gegend laufen, womöglich noch mit einer, deren Verschluss einem mutierten Schnuller gleicht. Wenn Sie es schon einem Promi gleichtun wollen, dann suchen Sie sich wenigstens ein Unikat aus, z. B. Richard Burton, dessen Morgen mit einem doppelstöckigen Wodka-Orange begann (besteht auch zu 80% aus Wasser, allerdings in deutlich inspirierenderer Form).
Es ist wohl ein Zeichen der Zeit, dass irgendwelche moralinsauren Ökofuzzis wissenschaftlich aufgeblasene Hochglanzbroschüren zu verwässerten Banalitäten verfassen dürfen. Die Botschaften sind jeweils so simpel, dass man berechtigte Zweifel daran haben muss, ob deren Verfasser den
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