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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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aus. Dagegen ein vollstrecktes Todesurteil wegen Sabotage u. Mordversuch an amerikan. Soldaten. – –
    Frau Steiner sagt, in Aichach sitze als Dolmetscherin der Kommandatur eine Wienerin . E. meint, die * Wienerin könne sehr wohl eine * Miss Lazar 3 sein. Wäre etwas derartiges der Fall, so wäre mir viel geholfen.

    Die Frage, wie das Bauerntum hier nazistisch werden konnte, ist nun wohl gelöst. Man kaufte es – mit wessen Geld? – u. verbarg ihm die religiösen u. politischen Fußangeln (die Soweit). Sechs Jahre hatte es nichts zu leiden; dann kam der Krieg – da war es wehrlos. Und da litt es auch weniger als die Stadt; * Fl. selber sagt, alles habe man eben nicht abgeliefert, ein bisschen konte man immer bedrücken. – E. fragt: wieso ist die wendische Bauernschaft immer antinazistisch gewesen? Antwort: Man hat ihnen ihre Sprache, den Religionsunterricht in ihrer Sprache genomen. Man dürfte sie von Anfang an als Eroberer behandelt haben. Sie lagen nicht im umworbenen Traditionsgau, sie gehörten beinahe zum Protektorat. – Dabei dürfte diese wendische Feindschaft idealistischer gewesen sein als die bayrische Freundschaft: denn an den Ablieferungen konnte man sich auch in der Wendei ein bißchen vorbeidrücken, u. sattzuessen hatte man dort auch. (Cf. * Agnes heimliches Buttern).
     

 
    Donnerstag Vorm. 10 Mai 45 Amtshaus
     
    Abendgespräch bei * Steiner- * Haberl. Frau St. Die amerikan. Dolmetscherin in Aichach sei eine arrogante Jüdin aus Wien , dies sei bekannt. Die Lehrerin corrigiert: zu uns recht liebenswürdig, schroff nur zur Frau eines bekannten Nazis. – Seitdem steht unabweisbar vor mir: ich muß nach Aichach, die Chance wahrnehmen, widerum möchte ich mich vor den Leuten von Unterbernbach [ mich ] nicht decouvrieren. Sehr große Schwierigkeit – u. nur an Ort u. Stelle zu lösen. Und wie dort hinkomen? Zweimal 9 km.! Auch kann ich * E nicht mitnehmen, u. muß nun selber u. ganz allein handeln, während ich doch bisher ihr alles zuschob. (Jetzt ist die Geltung unserer Pässe eine umgekehrte geworden!) – Ich habe mich zu zwei schweren Entschlüssen durchgerungen: ich will – zu Fuß u. allein – heute Nachm. nach Kühbach, ob sich auf unsere Marken etwas einkaufen läßt; u. ich will morgen, den ganzen Tag dafür ansetzend, auf große Fahrt nach Aichach. –
    Große Hitze u. Mückenplage halten uns dem Wald fern. Wir waren gestern Vorm. u. einen großen Teil des Nachm. s hier zuhause; ich schrieb, las vor ( * Undset), schlief. E s Befinden: etwas Ruhr-geschwächt u. sehr durch die Magensenkung gequält; am besten ist schon, sie verhält sich still, liegt ausgestreckt, Erst nach 17 h zogen wir in den Wald u. ließen uns von den Mücken stechen. Danach * * Fl. s, Kaffee im Gasthaus, Schulhaus, um ½ 10 im Dunkeln zu Bett. Licht u. Radio fehlen noch immer.
    Den heutigen Tag begann ich mit reichlichem Holzhacken. Fl. hat das Beil geliehen, u. im Bodenraum lagen viele Dachsparren herum. Es steht da auch noch eine riesige schwere Anschlagtafel, genauer: ein Anschlagkasten des Stürmers – Die Juden sind unser Unglück! Ich möchte ihn gar zu gern zerhacken ( * Polyeucte! 1 ), aber ich fürchte, dazu reicht meine Kraft nicht aus.
     

 
    Freitag 11. Mai 45 Amtshaus . Morgens .
     
    Gestern bis gegen 16 h im Wesentlichen zuhaus. * Undset – bei einigermaßen erlahmendem Interesse. Enge, Breite, Variation des Sexualthemas.
    Danach der erfolgloseste Weg nach Kühbach. Hin über Haslangkreit h , sehr schön in Spätfrühlingspracht, aber glühheiß, zurück über Paar, des Schusters halber, da sah ich gar nichts u. trabte nur unter der Hitze u. Depression die 4 ½ km ab. In Kühbach der Laden noch nicht in Betrieb, die Bäckereien leer, der Peterhof: Geschlachtet wird morgen. Aber im Peterhof schenkte man mir in eine mitgebrachte leere Streichholzschachtel hinein 8 Hölzchen. Das war das ganze Ergebnis der Wanderung, denn auch beim Schuster in Paar war nichts zu erreichen. Der Mann war stur, meine Bitte, eine Naht meines einzigen Schuhzeugs als Notreparatur zu besorgen, während ich wartete, blieb durchaus vergeblich. Er beharrte auf seinem: heute nicht mehr, u. dies müsse ordentlich gemacht werden, ich solle ihm den Schuh schicken, es brauche seine Zeit etc. – Ich kam recht erschöpft u. deprimiert zurück, ohne Lust, heute die – genau – doppelte Entfernung nach u. von Aichach mit wahrscheinlich gleich negativem Erfolg abzubüßen. Der Abend brachte dann aber einigen Trost, d.h. eine

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