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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Hungerland u. Niemandsland. Ein buchstäbliches Zigeunerlager. Niemand kümmert sich um die Insassen, nirgends im Umkreis gibt es ein Gasthaus, das Kaffee oder sonst etwas liefert. Ein bisschen Elekricität ist dem großen Lokal verblieben, u. draußen an der Gartenseite hat man sich aus irgendwelchen Metallplatten oder Gasherden zwei primitive Feuerherde gebaut. Auf den Herden draußen u. mit dem Elektroanschluß drin auf einem kleinen Kocher stellen die Leute ihren Kaffee, ihre Suppe etc. her. Familien mit kleinen Kindern wohnen hier, andere sind nur auf Durchfahrt, da Gepäck auf Kinderwagen. Armseligstes Volk, aus allen Landesteilen, durchweg verbittert. Trecks begegnen wir schon seit Tagen wieder, in doppelter Richtung, solchen die zurückwollen, u. solchen, die von den Tschechen vertrieben sind. Die verbitterte Wut der Leute richtet sich durchweg u. gemeinsam gegen * Hitler. Aber dann besteht Trennung in pro- u. antirussisch. Unterwegs rief uns ein dicker Mann zu, die Russen seien auch nicht schlimmer, das sei alles aufgepust gegreuelt. Hier erzählt eine Frau, Deutsche u. in Litauen aufgewachsen, Gräßliches von russischer Bestialität u. Zerstörungswut (Schlimmes auch von den Betrügereien russischer Juden), u. als wir sagten, dies sei Vergeltung, widersprach ihre Tochter oder Freundin wütend, niemals habe ein deutscher Soldat ein Möbel zertrümert od. gexxx geraubt, das sei alles Lüge. – – Im Ganzen u. bei weitem, zu 98 % überwiegt die Angst vor den Russen. Immer wieder unterwegs: nach Dresden? Aber das ist doch russisch. (Nein, LTI. Alle Welt sagt, da ist der der Russe .. Die Soldaten sagen: der Iwan, der Tommy, der Ami) Wagen Sie das wirklich? Zuletzt hörte ich freilich daneben: die Ernährung sei besser im russischen als im amerik. Teil Sachsens. – Am schlechtesten ist sie fraglos hier im Niemandsland. Wir haben im Gras gefrü gefrühstückt, buchstäblich bei Wasser u. Brod. Es gab nichts, absolut nichts anderes.
    Weitere Kennzeichen des Niemandslandes: das Fehlen amerik. Soldaten und die rote Fahne an irgendeinem öffentlichen Gebäude in Schönheide. Widerum sieht man Wagen mit armerik. Aufschrift. Beim Bhf Schönheiderhammer an schwarzer Tafel die Anschläge des Bürgermeisters u. eines antifaschistischen Ausschusses[], auf Befehl der amerik Behörde sei ein Sicherheitsdienst der Einwohner einzurichten, natsoc. Functionäre hätten sich sofort der Polizei zu stellen, oder .. Irgendjemand sagte mir, die Amer. hätten das Gebiet – welches?? – zwar nicht besetzt, schickten aber Streifen hinein. – In Auerbach war ich über das Niemandsland anders, katastrophal anders berichtet worden, u. zwar in doppelter Hinsicht. Einmal: es beginne gleich hinter Rodewisch, dort stünden Posten, die man nur auf Schleichwegen umgehen oder mit am. Passierschein überwinden könne. * Reichenbach, der uns buchstäblich stundenlang vor einer Polizeistelle in Auerbach warten ließ, kam ernstlich betrübt heraus, es bestünde für mich keine Aussicht, ins russische Gebiet durchgelassen zu werden, das beste sei, er nähme uns in seinem Wagen gleich wieder mit nach Falkenstein zurück. Erst auf meinen verzweifelten Protest machte er noch einen Versuch für mich beim Militärgovernment. Dort wimmelte es von Zimmern u. Menschen, u. ohne R. s Hilfe wäre ich nie zum Ziel gekomen, u. auch mit seiner Hilfe dauerte es[,] in zwei Zimmern, zweimal viel Zeit, bis ich den Schein in der Hand hatte. (Die Dolmetscherin erklärte ihrem Offizier, ich sei ein berühmter Musik professor u. hätte meine Farm bei Dresden.) (Aber an der zweiten Stelle, u. nachher auch beim Zusamentreffen auf der Straße der Dolmetscherin gegenüber – ganz egal! meinte sie – klärte ich den Irrtum auf.) Ich sah schon in diesen Bureaus, daß der so streng verbotene Passierschein zu hunderten ausgestellt wurde. Und nachher hat mich kein Mensch nach ihm gefragt, bin ich überhaupt keinem Grenzposten oder gar einer Postenkette begegnet. Wie gesagt, ich weiß durchaus nicht, welches eigentlich das Niemandsland ist. Und zum zweiten: * Reichenbach sagte mir, einen Wagen nach Schönheide hinüber – ob der Zug in Sch. oder in Schönheiderhammer oder in Wiltschus 1 abging, wußte natürlich auch keiner – einen Wagen dorthin würde ich kaum finden, die Gegend sei immer noch unsicher von plünderndem Volk. Nachher sah ich immerfort amerikan. zugelassene Wagen dort herumfahren.
    Sonnabend früh. Gasthof Neuebers bach dorf beim Bahnhof Hilbersdorf,

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