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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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für mich zu bewahren versprochen hatte, in ihrer Gegenwart zu verbrennen ... Wir hatten nun also die feste Absicht hier eine Weile auszuruhen, * E. wollte auch ein bisschen Unterzeug auswaschen. Dies war der elfte Reisetag, der letzte der zweiten Phase (Regensburg–Falkenstein), die Strecke Magwitz–Falkenstein, Dienstag 5. Juni.
     

 
    Am Mittwoch sah alles anders aus. Buchstäblich der nackte Hunger trieb uns Falkenstein so rasch als möglich zu verlassen. * * Sch.s hatten uns am Einzugsabend mit einer vorhandenen Kartoffelmahlzeit satt gemacht. Aber nun hatten sie kein weiteres Bröckchen übrig. Auf dem Rathaus erhielten wir wohl Marken, aber auf die Marken war nichts einzukaufen, Brod ausverkauft, Butter seit langem nicht zu haben etc., etc. Im Restaurant gab es auf Kartoffelmarken einen Teller saft- und geschmacklose Rübenschnitzel – denen wir nachher wiederholt als typische Elends-und Vogtlandspeise begegneten –, sonst nichts . Scherner nahm seinen Krückstock, stütz[t]e sich mit der andern Hand schwer auf mich und machte einen Bettelgang durch die Hauptstrasse. Er kannte jeden Passanten und sprach mit jedem, er klopfte an die Thüren und Schaufenster geschlossener Läden und drang ein, er erzählte überall unsere Geschichte, und so wurde eine Portion Fleisch gekauft, und ein Stück Brod als Geschenk erhalten. Das war sehr rührend und half einigermassen über die momentane Not, aber es war auch sehr peinlich und liess sich unmöglich fortsetzen. Ich rüstete sogleich die Weiterreise. Ich ging zur amerikanischen Kommandantur: ein sehr junger impassibler Leutnant 1 und ein bildhübscher knabenhafter, gutmütiger schlanker Halbneger als Dolmetscher. Er bot mir einen Sessel am Schreibtisch seines Leutnants, beugte sich mit kindlichem Lächeln über mich und fragte mit weicher Stimme: Was willst Du? Ich explizierte mich, er setzte es seinem Leutnant auseinander, und dieser schrieb in Blockschrift, aber ohne Amtsstempel, so wie er es verstanden hatte: This Professor Victor Israel Klemperer s a half Jew and he would like to go to Dresden. He is one of Germany s famous professors in Philosophy and languages. He is a good man and we would recommend him every thing possible to help him. Mit diesem Zettel, mit dem ich noch viel renommiert habe, ging ich zur Fahrbereitschaft. Umsonst, in Richtung Chemni Schönheide, von wo es Bahn nach Aue und weiter nach Chemnitz geben SOLLTE, und von Chemnitz Sollte schon ein regulärer Zug nach Dresden gehen – dorthin also fuhr man von Falkenstein aus gar nicht, aber vielleicht von Auerbach aus. Ich ging auf * Sch.s Rat noch zu einem RA * Reichenbach, a half Jew oder ein ganzer[,] Vetter jedenfalls wie sich herausstellte unseres unglücklichen Dresdener * Reichenbach, 2 seit der Umwälzung auf hohem Verwaltungsposten. Er nahm mich sehr gut auf und versprach uns am nächsten Morgen nach Auerbach zu bringen, mir dort auch behilflich zu sein. Im übrigen verging der Tag in wechselseitigen Gesprächen. * Sch berichtete, wie schwer die innerlich intakte, aber ganz nazistisch und führergläubig aufgewachsene * Uhlmann an dem Umschwung und dem Erfahren der Wahrheit gelitten habe. Ohne mein Judentum aufzudecken, gab ich dem Mädel doch allerhand Auskunft. – * Eva meinte, ich hätte sie zu hart angefasst. Mit der antinazi stischen stischen * Dumbis zu sprechen war einfacher.
    Mit * Nora Dettke wurden wenige harmlose Worte gewechselt, ihr * Mann, der * Hitler- und sieggläubige Nazibalte, dem der Krieg so gut bekam und noch nicht lang genug gedauert hat, befand sich zu meiner innigen Freude offenbar in amerikanischer Gefangenschaft.
    Dies der zwölfte Tag, Mittwoch 6. Juni, ganz in Falkenstein verbracht.
     

 
    Donnerstag d. 7. Juni recht bedrückter Aufbruch von Falkenstein, im Grunde ging es ja wieder ins Ungewisse. Der * Anwalt kam mit einem Begleiter im schönsten Automobil, brachte uns in wenigen Minuten nach Auerbach, liess uns aber dort eine reichliche Stunde vor irgendeiner Amtsstelle warten. In der Zwischenzeit kam er einmal heraus, drin befinde sich ein russischer Offizier, vielleicht werde der uns weiterhelfen. Aber dann nach einer Stunde hiess es, leider sei alles umsonst, die Kommandantur lasse niemanden in das angrenzende Niemandsland 1 und in die russische Zone hinüber, das vernünftigste sei, ich kehrte gleich mit ihm, Reichenbach, nach Falkenstein zurück. Als ich mich dagegen erbittert wehrte, meinte er, er wisse freilich von vielen, die heimlich und auf

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