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Klippen

Klippen

Titel: Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Adam
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Lorbeerhecken bepflanzte glatte Zement. Und mittendrin mein Bruder auf dem Fahrrad und ich, mich an seinem Sattel festhaltend, auf Rollschuhen, Fußballspielen auf der Straße an Sommerabenden, die Tulpen, die rostigen Gartenmöbel, die Betonplatte, die mit Scherben gespickten Mauern, die Rosensträucher und der Gartenschlauch, das Elternschlafzimmer mit den am helllichten Tag geschlossenen Fensterläden, das vor der Küche geparkte Taxi meines Vaters, die Schaukel, die Terrasse und der Grill, der Garten mit dem vor dem Tod meiner Mutter gemähten Rasen und dem hohen Gras danach, das dunkle Wohnzimmer mit den wenigen Möbeln, den schmucklosen Wänden, der braunbeige gemusterten Tapete, an die Bilder von irgendwoher genagelt sind, vergilbter Farn siecher Ficus welke Schnittblumen, Vasen aus falschem chinesischem Porzellan mit nie gewechseltem Wasser. Die bräunlichen Thujen und das versengte Gras im Sommer, die Flecken aus lockerer brauner Erde im Frühling, hell, gefroren und brüchig im Winter, das Knattern der Mopeds und die gebogenen Straßenlaternen über den vom Sprühregen glänzenden und von Zierpflaumen gesäumten Asphalt, die Küche mit den hellen Holzmöbeln und darin meine Mutter, wie sie mit leerem Blick unbewusst vor sich hin summt, auf das Fenster zur Straße starrt oder, in die Betrachtung des im Lichtschein kreisenden Tellers versunken, vor der Mikrowelle steht oder wie sie im Wohnzimmer, blass im Halogenlicht und über das Bügelbrett gebeugt, den Fernseher anstiert und gleichzeitig durch ihn hindurchblickt.
    Wie sie beim Essen in Gegenwart der Familie meines Vaters oder beim Fernsehen in Tränen ausbricht, wobei sie selbst gar nicht richtig hinsieht, sondern sich einfach bloß zwischen uns auf dem Velourssofa zusammenrollt. Ihre Arme, die uns drücken, bis uns die Luft wegbleibt, und ihre in unserem Haar erstickten Schluchzer.
    Wie sie am helllichten Tag, von morgens bis abends, im Halbdunkel der geschlossenen Fensterläden liegt, einen mit warmem Wasser und Synthol getränkten Waschlappen auf der Stirn. Oder in ihrem Auto sitzt, das sie, wenn sie mich zur Schule, zum Stadion oder zum Einkaufszentrum fahrt, am Straßenrand parkt, weil sie vor lauter Tränen nichts mehr sieht, ihr Körper durchgeschüttelt wird und sie keinen Unfall riskieren will.
    Wie sie mitten in der Nacht – ich beobachtete sie von meinem Fenster aus, wenn ich nicht schlafen konnte – barfuß und manchmal im Regen den Garten durchquerte, die Baumstämme streichelte, ihre Finger in die Erde grub, dann die Straße hinunterging und verschwand, ohne dass ich je gewusst hätte, wohin.
    Sie kam erst Stunden später zurück, ich schlief immer noch nicht, sondern lauerte hinter dem Vorhang auf sie, ihr Gesicht war schlammbespritzt, der Stoff ihres Kleides vom Moos grün verfärbt, die Füße waren schwarz, Blätter in den Haaren; bestimmt war sie zum Fluss gegangen, hatte sich ans Ufer des schwarzen Bandes gesetzt. Oder sie war bis in den nahe gelegenen Wald gegangen, ich malte mir aus, wie das Gestrüpp sie zerkratzte, wie sie sich an die Stämme der Kastanien schmiegte, vielleicht sogar Erde aß, auf Blättern und Farn kaute. Oder es hatte sie ein Stück weiter zu dem unbebauten Grundstück gezogen, ein von hohem Gras überwuchertes und von Holzzäunen umfriedetes Areal; dort spielte ich mit meinem Bruder und ein paar Freunden aus dem Viertel Fußball, es war Sommer und wurde spät dunkel. Ich weiß nichts über ihre nächtlichen Ausflüge. Ich habe nie gewagt, sie darauf anzusprechen. Ich weiß nur, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht in ihr Zimmer ging, sondern zu mir ins Bett kroch. Ich stellte mich schlafend, aber ich spürte ihre eiskalte, feuchte Haut.
    Wie sie plaudernd mitten im Wohnzimmer sitzt, umringt von Bekannten aus der Nachbarschaft, von Müttern, die sie am Schultor getroffen hatte und die sie manchmal, selten, samt Kindern, mit denen wir dann im Garten spielten, zu Tee und Keksen einlud. Ich habe keine Ahnung, was sie sich wohl zu sagen hatten, diese namenlosen Frauen und meine allzu zerbrechliche, zurückhaltende Mutter mit den abgekauten Fingernägeln und der rissigen Nagelhaut rund um das mit weißen Flecken gesprenkelte Perlmutt.
     
     
     
     
     
     
    Wenn ich von meiner Kindheit und dem Wenigen, was mir davon geblieben ist, von meiner Mutter und dem Wenigen, was ich über sie weiß, erzählen will, muss ich über die Leere sprechen, die mein Vater beim Hinausgehen hinterließ, über den herben Geruch am

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