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Klippen

Klippen

Titel: Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Adam
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auf, und das Licht blendete mich. Ich machte die Augen zu und öffnete sie wieder, und da sah ich sie von fern. Sie kam auf der anderen Seite des Eisentors auf uns zu, durchscheinend und mit unbewegter Miene. Blass und mit einem langen roten Mantel bekleidet, den rechten Arm in einer Schlinge und die Hand bandagiert, schien sie uns nicht zu sehen. Langsam kam sie genau in der Mitte der breiten Allee näher, winzig und allein im reglosen Park. Alles hier wirkte wie erstarrt, die Bäume und die Fontänen, als wäre die Zeit in einem ewigen Winter gefroren. Als sie meinen Vater sah, zeigte sie nicht die leiseste Regung. Sie küssten sich mit spitzen Lippen, vielleicht berührten sie sich auch gar nicht, ja, streiften sich nicht einmal. Er nahm ihren Koffer. Sie zündete sich eine Zigarette an. Sie hatte abgenommen, und ihr Gesicht verschwamm hinter den Rauchspiralen. Antoine drückte mein Handgelenk, und ich hörte seinen flachen Atem. Gebannt starrten wir sie an. Die Hitze im Wagen war unerträglich. Meinem Bruder klebten die Haare in dunklen Strähnen auf der Stirn, in schwarzen Locken im Nacken. Sie stieg ein, ohne uns zu küssen. Lange bewegte sie sich nicht, ihre Augen waren auf die Straße oder auf die Felder in der Ferne gerichtet, vielleicht hatte sie sie auch geschlossen. Schließlich drehte sie sich zu uns um und schenkte uns so etwas wie ein Lächeln. Mein Atem setzte aus, und mein Herz fühlte sich an wie ein ausgewrungener alter Schwamm. Ich wartete darauf, dass ihre Lippen ein Wort formten, aber es kam nichts. Ihr Blick ließ von uns ab, und mein Vater fuhr los. Sie sagte nichts, als er auf die Autobahn fuhr.
    Viele Kilometer rollten wir schweigend dahin. Unsere Augen waren auf den Nacken meiner Mutter geheftet, wir verfolgten selbst ihre kleinsten Bewegungen, die Geste, mit der sie die Haare hinters Ohr schob, das leichte Heben ihrer Schultern beim Einatmen. Unsere Gesichter klebten am Getöse der Autobahn und der verschwommenen Bewegung der entgegenkommenden Autos, und wir warteten mit klopfendem Herzen darauf, dass sie sich umdrehte, uns einen Blick voller Zärtlichkeit zuwarf uns mit den Lippen einen Kuss zuhauchte. Das Motorgeräusch übertönte alles. Irgendwann schlief ich ein, an meinen Bruder gelehnt, unsere Gesichter berührten einander. Mein Vater stellte die Heizung an, und die Luft wurde lauwarm und Übelkeit erregend.
    Kurz darauf hielten wir. Es war gerade dunkel geworden. Die Tankstelle wirkte im Scheinwerferlicht fahl und hässlich. Leichter Regen fiel, man spürte ihn kaum auf den Haaren, an den Wangen. Im Schein der Straßenlaternen sah er aus wie ein hauchdünner Vorhang, Blasen in einer Flasche Mineralwasser. Mein Vater stieg aus, um einen Kaffee zu trinken. Er streckte sich auf dem Parkplatz, und wenn man ihn so sah, mochte man kaum glauben, dass er gerade einen so einschneidenden Moment durchlebte, dass er soeben seine Frau abgeholt hatte, nachdem diese monatelang in einer psychiatrischen Klinik eingeschlossen gewesen war. Genauso gut hätte er einfach nur unser Fahrer sein können, und das war er am Steuer seines Taxis im Grunde auch. Meine Mutter rauchte, an den Wagen gelehnt, eine Zigarette. Antoine rieb sich gähnend die Augen. Sie drückte die Kippe aus und betrachtete den Himmel, dann stieß sie einen Seufzer aus, den ich nicht zu deuten wusste, und fasste mich an der Hand. Ich nahm die Hand meines Bruders. Im Gänsemarsch gingen wir in den Tankstellenshop zu den Regalen mit den Chips, den Bonbons, den Keksen. Sie griff, wie es aussah, aufs Geratewohl nach ein paar Dingen, nahm wahllos Päckchen mit Kleingebäck, Kaugummi und zuckrige Getränke mit. Dann blieb sie vor einem Verkaufsständer stehen und drehte ihn. Billiger Schmuck kreiste im grellen Licht vor unseren Augen, aus den Lautsprechern ertönte ein Lied von Michel Delpech, Les divorces , ich weiß nicht, warum ich mich so genau an dieses Detail erinnere, wo ich doch so viel Wesentliches vergessen habe. Jeder suchte sich ein Armband aus. Ein Armband aus braunem Leder mit eingestanztem Vornamen. Meins habe ich noch. Ich weiß nicht, warum sie es uns unbedingt kaufen, uns unsere Vornamen aufs Handgelenk schreiben wollte. Damals hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass man ihr ein Armband oder vielleicht sogar ein Halsband hätte umbinden müssen, um sie nie wieder zu verlieren.
    Mein Vater trank seinen Kaffee aus, und wir stiegen wieder ins Auto. Die paar Minuten hatten gereicht, um es im Innern eiskalt werden zu lassen,

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