Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
warmer, sonniger Freitag und ich hatte nichts Besonderes zu tun. Freitagsmorgens ist in den Krankenhäusern und Notaufnahmen, in denen ich gern herumhänge, nicht viel los. Nicht, dass Sie jetzt denken, ich sei blutrünstig oder weide mich am Leid von Leuten, die sich mit dem Motorrad um einen Laternenpfahl wickeln oder denen beim Holzhacken die Axt im Schienbein stecken geblieben ist. Ganz und gar nicht. Ich warte dort auf geistige Gesellschaft. Immerhin ist mein Dasein eine ganz schön einsame Kiste. Es gibt keine andere Seele in meiner Zwischenwelt, denn meist läuft es so: Im Moment des Todes verlässt die Seele den Körper, sagt vielleicht noch kurz Hallo und verschwindet dann in den Himmel oder die Hölle. Zurück bleibt nie eine. Manchmal allerdings rufe ich noch »Grüß Marlene« hinterher, denn diese kleine, dicke Nonne war die Einzige, die mir für längere Zeit hier auf meiner Zwischenebene Gesellschaft geleistet hat. Später hat sie sich dann auch ins Licht verabschiedet. Aber ich bin sicher, dass sie noch gelegentlich nach mir sieht.
Auch sonstige Einrichtungen, in denen ich gern Zeit verbringe,haben freitagvormittags wenig zu tun, da werden sogar die Betten im Nagelstudio gelüftet und die Swingerclubs entlaust. Ich schaute also bei Gregor nach dem Rechten, weil ich wusste, dass er heute einen wichtigen Termin hatte. Wenn sonst nix los war, begleitete ich ihn gelegentlich ins Gericht.
Gregor band sich gerade eine Krawatte um. Das ist etwas, das er üblicherweise vermeidet, aber heute musste er als Zeuge auftreten, daher beugte er sich dem Druck der Erwartung und zog so genervt an dem Strick herum, dass ich mir Sorgen um seine Luftzufuhr machte. Jenny stand grinsend in der Tür, was Gregor noch mehr anpisste, aber endlich hatte er es geschafft und der Knoten war vielleicht nicht gerade für die Hochzeit von Willi Windsor geeignet, aber fürs Gericht reichte es locker.
Der Auftritt des großen Kriminalhauptkommissars Kreidler war ein voller Erfolg. Er antwortete präzise auf alle Fragen, konnte die Beweise gegen den Angeklagten lückenlos erklären und stotterte nicht einmal an der Stelle, an der die Frage kam, wie er denn überhaupt auf den Angeklagten aufmerksam geworden sei. Er konnte ja schlecht sagen, dass sein bester Kumpel, der Schlitzer, mal einen Autoknacker obduziert hatte und seitdem vom Geist desselben gelegentlich heiße Tipps aus dem Reich der Toten bekam. Daher tat er das, was er in solchen Fällen immer zu tun pflegt, und dehnte die Wahrheit. Sie war an dieser Stelle bereits labberig wie das Hosengummi eines Dreizehnjährigen, aber zum Glück wurde die Frage nur in seltenen Fällen gestellt, nämlich nur dann, wenn der Anwalt des Übeltäters damit auf einen verfahrenstechnischen Fehler hinauswollte, was ihm in diesem Fall nicht gelang. Gregor verließ den Zeugenstand aufrecht und ernst. Das gehässige Grinsen zeigte er erst im Flur, als Jenny fragte, wie es gelaufen sei.
»Der sieht Frauen ab sofort nur noch auf fleckigem Papier.«
Die Genugtuung war ganz auf meiner Seite, denn auch wenn ich zu Lebzeiten mit mehr als einem Gesetz in Konflikt gekommen bin, gibt es einige Sorten Krimineller, die ich nicht ausstehen kann, und das sind alle, die ihren Zipfel zur Waffe machen und andere Leute damit quälen. Wenn diese Opfer dann auch noch Kinder oder Frauen sind, wird es ganz eng. Der Angeklagte, dem Gregor gerade zu einer lebenslangen Karriere im Café Viereck verholfen hatte, gehörte dazu. Der Typ war ein Vergewaltiger, der sein letztes Opfer zwischen (!) mehreren sexuellen Attacken getötet hatte. Versehentlich, wie er behauptete. Keine Ahnung, wie man bei einer extra reißfesten Plastiktüte über dem Kopf und einhundertsiebenundneunzig Zentimeter Duct-Tape von Versehen reden konnte. Mit dem Klebeband haben wir damals ganze Baureihen von Opel repariert. Wer zu dem Zeug greift, weiß, was er tut.
Gregor fummelte noch an seiner Krawatte, diesmal allerdings schwungvoll in Abwärtsrichtung, als sein Handy klingelte. Eine Selbstmörderin war auf dem Speicher ihres Hauses gefunden worden. Bei Selbstmord gehen die Kripos nachschauen, ob es wirklich einer war. Gregor und Jenny machten sich also auf den Weg und ich folgte ihnen.
Wenn jemand die Seele baumeln lassen will, gibt es mehr Möglichkeiten, als der Durchschnittsbürger weiß. Die Falltür-auf-und-tot-Methode kennt jeder, der schon mal einen Western gesehen hat. Das ist nicht nur schwungvoll und dynamisch, sondern auch ziemlich
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