Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Genaues.«
»Wo?«
»Am Sperrwerk in der Billwerder Bucht. Sollen wir Sie mitnehmen?«
»Ich bin in fünf Minuten vor der Tür.«
Ich mache den Ventilator aus, schnappe mir meine Kippen, mein Feuerzeug und meine Sonnenbrille und gehe raus. Ich denke darüber nach, ob ich den Calabretta anrufen soll. Leichenteile sind eventuell ein dicker Brocken. Wenn ich ihn anrufe, bricht er seine Ferien ab. Wenn ich ihn nicht anrufe, bin ich erst mal der zuständige Oberbulle. Ich rufe ihn nicht an.
*
Der Brückner hat das Kommando am Tatort übernommen, er stellt die Fragen. Das finde ich gut. Ich rede ja nicht so gerne. Und der Kollege Schulle ist mal eben hinter einem Streifenwagen verschwunden. Ich würde sagen, der wird gerade sein Frühstück wieder los. Ich zünde mir eine Zigarette an.
Die Spurensicherung ist ungefähr zeitgleich mit uns angekommen, die sind noch dabei, den Fundort abzusperren. Gleich scheuchen sie mich weg. Ich stehe auf einem Grünstreifen rum, der zum Wasser führt. Hinter mir steht ein einsames Herrenhaus. Das Haus ist schick renoviert, in einem hellen Gelb gestrichen, und die neuen Fenster glänzen in der Sonne. Der Garten ist eher ein kleiner Park. Ich wusste gar nicht, dass es in der Ecke hier Leute mit Geld gibt. Gleich links steht noch eine kleine Villa, die ist nicht ganz so herrschaftlich, eher zierlich, wie eine Sommerfrische. Aber auch die hat vor nicht allzu langer Zeit einen frischen weißen Anstrich bekommen. Gegenüber liegen Gerümpel und eine verrottende alte Werft, rechts knallt das Sperrwerk in den blauen Himmel. Das Ding sieht ein bisschen aus wie eine Raffinerie, wie eine kleine Fabrik. Es überrascht mich, aber ich finde das alles ganz hübsch. Vielleicht sollte man öfter mal nach Rothenburgsort fahren. Ich muss das mit Klatsche und Carla besprechen. Mir ist heiß.
In ungefähr zwei Metern Entfernung auf einer Kaimauer liegt der schwarze Müllsack, wegen dem wir hier sind. Ich hatte gehofft, dass der Rauch meiner Zigarette den Geruch ein bisschen überlagern würde. Funktioniert leider nicht. Es stinkt bestialisch. Ich muss an die Schlachterei denken, über der ich als Studentin eine Weile gewohnt habe.
»’tschuldigung, Frau Riley, wir müssen hier mal eben absperren. Können Sie da hinten weiterrauchen?«
Ja, ja. Ist ja schon gut.
*
Ich hab mich von zwei uniformierten Kollegen an der Speicherstadt rausschmeißen lassen. Ich hatte das Gefühl, dass am Tatort schon genug Aufruhr ist, und dann kamen noch die Taucher, und dann immer diese Hitze. Da geht man den Leuten doch schnell auf die Nerven, wenn man unnötig wo rumhängt.
Und einer muss ja auch nach dem Faller sehen.
Der Faller sitzt da, wo er immer sitzt, seit er sich vor drei Monaten hat pensionieren lassen: unterm Leuchtturm. Der Leuchtturm steht an der Spitze einer kleinen Landzunge im Hafen. Der Faller behauptet, dass er da von morgens bis abends sitzt, weil es Spaß macht. Ich glaube ihm kein Wort. Der sitzt da doch nicht freiwillig. Der Faller hat nie gerne irgendwo rumgesessen. Der Calabretta sagt, der Faller sitzt da, weil er versucht, die letzten dreißig Jahre klar zu kriegen, und ich denke, er hat recht. Der alte Mann muss da sitzen. Sonst würde er nämlich zu Hause rumeiern, in Ruhe Zeitung lesen und den Blümchen in seinem Garten beim Wachsen zusehen. Wie man das eben so macht als Frührentner, wenn man die Schnauze gestrichen voll hat. Und er hat die Schnauze gestrichen voll, das hat er mir bei seiner Pensionierung gesagt. Ach. Was weiß denn ich. Er redet ja auch mit niemandem mehr so richtig.
Ich gehe links am Kaispeicher vorbei. Den kleinen, rot-weiß geringelten Leuchtturm sieht man schon von weitem. Er wirkt immer, als wäre er aus Lego, wie er da so klein und niedlich und irgendwie sinnlos über dem mächtigen Hafenbecken steht und vor all den Containerschiffen, Kränen und fetten Backsteinbauten. Ich glaube, der steht da nur, weil das nett aussieht. Den braucht doch eigentlich kein Mensch. Außer dem Faller, der braucht ihn offensichtlich.
Der Weg zum Leuchtturm ist nicht asphaltiert. Die Hitze hat den Weg staubig gemacht. Gut, dass ich Stiefel anhabe. Fühle mich wie Clint Eastwood persönlich. Vor zwei Wochen, als es tagelang geschüttet hat, war das hier eine hässliche Sumpflandschaft. Da hab ich mich genauso gefühlt. Wie Eastwood natürlich, nicht wie die Sumpflandschaft. Das muss wohl ein Clint-Eastwood-Platz sein: Sieht verloren aus, ist aber ein stabiler Halt zu jeder Tages- und
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