Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
zurück.«
»Ach ja«, sagt der Faller. Er nimmt seinen Strohhut ab, wischt sich mit dem Handrücken die Schweißperlen weg und setzt ihn wieder auf.
»Ist Ihnen das eigentlich nicht zu heiß hier?«, frage ich.
»Nö«, sagt er.
Der spinnt ja. Aber ich will mich nicht schon wieder mit ihm anlegen. Ich halte die Schnauze und warte, bis ich fertig gegrillt bin. Irgendwann sagt der Faller:
»Leichenteile also. Und sonst?«
»Nichts«, sage ich.
»Sicher?«
»Sicher.«
»Hm«, sagt er. »Ich hatte so ein komisches Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt mit Ihnen.«
Ach nee, denke ich.
»Hauptsache, mit Ihnen stimmt alles«, sage ich.
Ich sehe ihn an und versuche, was zu finden, einen Hinweis auf das, was ihn hier die ganze Zeit sitzen lässt. Aber dieses Gesicht, das ich so gut kenne, diese furchige, freundliche Vatervisage mit der großen Nase und den müden Augen unter der Hutkrempe, das ganze liebevolle Arrangement, das lässt nichts raus, nicht für fünf Cent. Ich lasse ihn in Ruhe und schaue wieder aufs Wasser, und er macht das ja sowieso andauernd, und so schauen wir dorthin, wo die Elbe breiter wird und irgendwann bei Cuxhaven ins Meer reinfließt, und während am Horizont zwischen der dunkelroten großen Elbstraße und dem dunkelschwarzen Dock ein paar Möwen der Nachmittagssonne entgegensegeln, schiebt sich links von uns ein Frachter durch die Fahrrinne, fast lautlos und so groß wie ein Parkhaus.
Der Winter ist hart, der Sommer ’n Witz.
Der schöne Tag am See endet mit Donner und Blitz.
Der Wind peitscht, Kragen hoch, Kopf runter, Tunnelblick,
die Pullis und Jacken machen Magersüchtige pummelig.
Wir müssen mit allem rechnen, weil man hier sonst erfriert,
Deswegen wirken wir so komisch und so kompliziert.
So viele Strapazen und dennoch kein Grund, umzusiedeln.
Das Herz am rechten Fleck, die Füße in Gummistiefeln.
Der Grund, warum die Leute hier gern leben,
weil die Leute erst fühlen, dann denken, dann reden.
Und egal, wie es nervt, das ständige Grau, das Sonnenlose,
Wir zeigen stets Flagge, rot-weiß wie Pommessoße.
Ich sage, Hamburg ist die Hälfte von zwei.
Die Schönste, die Nummer eins, das Gelbe vom Ei.
Und statt unsympathisch, jung-dynamisch wie Friedrich Merz.
ist hier alles laid back, relaxed und friesisch herb.
Hamburg – nicht verwechseln mit Hans Wurst,
denn selbst der kleinste Pimmel hier ist nicht ganz kurz.
Also scheiß auf Tief Anna, Tief Berta, Tief Cora.
Dafür ham wir Musik, ham den Kiez, ham die Flora.
Oh ja, scheiß drauf, wir sind’s gewöhnt.
Wir finden’s schön, und außerdem, bei euch im Süden von der Elbe,
da ist das Leben nicht dasselbe.
Denn dort im Süden von der Elbe,
da sind die Leute nicht dasselbe.
Es ist arschkalt, scheiß Sturm, und es regnet wieder.
Apotheker fahr’n Porsche dank der Antidepressiva.
Das ist kein Winter, nee, wir haben das jeden zweiten Tag.
Das ist Hamburg, Mann, willkommen in meiner Heimatstadt.
Moin, ist doch klar, dass so ein rauhes kühles Klima prägt,
sich über Jahrhunderte auf die Gemüter niederschlägt.
Heißt, nicht mit jedem reden und nicht jeder Sau trau’n
Wir brauchen halt ’ne kleine Weile, bis wir auftau’n.
Tja, man glaubt’s kaum, aber dann sind wir echt kuschelig.
Hamburg ist ein derber Beat und schön und schmuddelig.
Und der Hafen, der ist das Herz, die Bassline
Fuck Internet, wir war’n schon immer mit der Welt eins.
Absolute Beginner, City Blues
Liebe in Zeiten der drückenden Hitze
D as ist ja das Besondere am Hamburger Sommer: Die Nacht fällt so gut wie aus. Bis auf ein paar Stunden zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens wird es gar nicht richtig dunkel, das ist von Mai bis August einfach Standard, da kann man sich drauf verlassen.
Und dann gibt es auch noch Abende wie diesen. Die sind so schön und so warm, dass man echt auf der Hut sein muss. Man könnte Sankt Pauli sonst nämlich mit einer Stadt im Süden verwechseln, vielleicht sogar mit einer Stadt am Meer, und dann ist die Heulerei groß, wenn es vielleicht schon morgen Abend wieder regnet und die Stadt wieder zurück im Norden ist. Ein Abend wie dieser legt sich einem wie warme Milch um den Körper, lauschig und weich, immer noch aufgeheizt, und ohne jeden Anflug von Wind oder Nieselregen, ohne das, was das Wetter hier sonst manchmal so anstrengend macht. Dafür gibt es eine gewaltige Kelle Leuchtfarbe am Horizont. Orangerotrosa auf taubigem Blau. Eine Spektakelfarbe.
Es ist so gegen halb zehn.
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