Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
denke mir oft, dass der Junge eben auch ein Junge ist, mit gerade mal Mitte zwanzig und Testosteron bis zum Hals, und deshalb versuche ich, es nicht zu persönlich zu nehmen.
Ich schließe die Haustür auf, gehe die Treppen hoch in den dritten Stock, und statt gleich meine Tür aufzuschließen, klopfe ich erst mal an die von Klatsche. Es dauert ein bisschen, dann höre ich ein Schlurfen, dann ein Gähnen, dann geht die Tür auf. Klatsche trägt eine zu große hellblaue Boxershorts und ein zu kleines dunkelgrünes T-Shirt, das um den Kragen herum ziemlich abgewohnt aussieht. Seine Haare stehen in alle Richtungen ab, die Kippe in seiner Hand muss schon vor einer Weile ausgegangen sein. Er sieht aus wie ein Räuber.
»Hey, Frau Staatsanwältin«, sagt er.
»Hey«, sage ich. »Was machst du?«
»Ich liege vorm offenen Kühlschrank«, sagt er.
»Kann ich mitmachen?«, frage ich.
»Klar«, sagt er, »ich werde doch mein Mädchen nicht in dieser Hitze krepieren lassen.«
Er zieht mich durch die Tür und gibt mir einen Kuss auf den Scheitel.
»Ich bin nicht dein Mädchen«, sage ich.
»Ich weiß, Baby, ich weiß.«
Im Haus der tausend Eier
D er Brückner und der Schulle sehen aus, als kämen sie gerade vom Spielplatz. Der Brückner trägt ein dünnes T-Shirt, der Schulle sein abgewetztes FC-Liverpool-Trikot, die Haare tragen beide ungekämmt und irgendwie aus der Stirn gestrichen, beim Brückner mehr nach hinten, beim Schulle mehr nach oben, und in ihren Gesichtern scheint die helle, norddeutsche Sonne. Sie sehen aus, als hätten sie Ferien auf Saltkrokan gemacht. Ich hab die beiden inzwischen richtig gern. So wie ich früher in der Schule die Jungs aus der letzten Reihe gern hatte, die zwar nur Mist im Kopf hatten, aber trotzdem hochanständige, ehrliche Typen waren. Die im Zweifel immer auf die Großen losgegangen sind und nie auf die Kleinen.
»Moin, Chef«, sagt der Schulle und hebt die Hand, der Brückner grinst und bohrt in der Nase, merkt das aber wahrscheinlich gar nicht.
Ich frage mich oft, was die Vögel eigentlich machen würden, wenn sie Uniform tragen müssten.
»Moin, die Herren«, sage ich. »Wie laufen die Geschäfte?«
»Sauber«, sagt der Brückner. »Wir wissen, wen wir gestern aus dem Wasser gezogen haben.«
»Oh«, sage ich, »das ging aber zackig. Wen denn?«
»Dejan Pantelic«, sagt er. »Einunddreißig Jahre alt, Gelegenheitsjobber. Kam Mitte der Neunziger aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Hamburg. Hat keine Familie hier. Seine Freundin hat ihn Montag dieser Woche als vermisst gemeldet.«
An der Wand hinter seinem Schreibtisch hängen die Fotografien, die in der Pathologie von dem Kopf aus der Billwerder Bucht gemacht wurden. Daneben klebt ein leicht angegammeltes Bild von einem Typen in Shorts und Hawaiihemd. Der Typ steht neben einer Palme, hat einen Cocktail in der Hand und sieht eigentlich ganz gut aus. Zumindest hat er einen Ausdruck im Gesicht, als fände er selbst, dass er gut aussieht. So was vermischt sich ja manchmal. Ich kann beim besten Willen keine große Ähnlichkeit zwischen dem und unserem Kopf erkennen.
»Ein und derselbe Typ?«, frage ich. »Sind Sie sicher?«
»Der ist nur ein bisschen aufgequollen«, sagt der Brückner. »Seine Madame hat ihn heute morgen zweifelsfrei identifiziert.«
»Oh«, sage ich, »das war unschön, oder?«
»Hat der Schulle gemacht«, sagt er.
»Oh«, sage ich noch mal, und der Schulle sagt:
»Muss ich durch. Das wird schon. War meine erste Wasserleiche. Und das nicht mal in einem Stück.«
Der Brückner gähnt und bohrt schon wieder in der Nase. Irgendwas ist da.
»Die wievielte war es denn bei Ihnen?«, frage ich ihn.
»Keine Ahnung«, sagt er, und er klingt ziemlich nasal. »Ich war während der Ausbildung bei den Langzeitvermissten. Da haben wir andauernd Leute aus dem Wasser gezogen. War quasi Standard. Mein Gott, wie die alle aussahen. Da war das gestern Pipifax gegen, echt.«
Ach so.
»Was wissen wir noch über diesen, wie war noch mal der Name?«, frage ich.
»Pantelic«, sagt er. »Er wurde am vergangenen Freitag zum letzten Mal gesehen, in der Nacht zum Samstag, auf dem Kiez. Er war mit zwei Kumpels im Silbersack, und die meinen, dass er sich so gegen zwei auf den Weg nach Hause gemacht hätte. So haben sie das zumindest seiner Freundin erzählt. Wir haben uns die beiden Kumpels aber noch nicht zur Brust genommen. Mach ich dann gleich.«
»Okay«, sage ich. »Was haben wir sonst?«
»Die Taucher haben nichts
Weitere Kostenlose Bücher