Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
Vom Netzwerk:
muss. Die Fenster sind mit finsteren Batiktüchern zugehängt, die Wände mit einer dicken Schicht Gilb überzogen, und in der Glotze läuft so eine Art Kickbox-TV. Das vordere Zimmer, das halbe von den eineinhalb und wahrscheinlich formerly known as Küche, steht voller Müll. Im hinteren Zimmer, vor einem zugehängten Fenster, steht eine verwarzte Couch. Der Typ auf der Couch muss Opa Terim sein. Opa Terim hat keine Beine mehr. Die Stümpfe seiner Oberschenkel sind mit irgendwas Grün-schwarz-Gelbem umwickelt, ich tippe auf Jamaika-Flaggen. Opa Terim wäre schon mit Beinen vermutlich nicht besonders groß, ohne Beine ist er winzig. Ein altes, winziges Häufchen von beinlosem Gangster. Sein grauer Bart ist enorm fusselig, auf dem Kopf trägt er eine speckige schwarze Lederkappe, im Gesicht eine viel zu große Pilotensonnenbrille. Bei dem schummrigen Licht, das in seiner Bude herrscht, kann er unmöglich noch irgendwas sehen.
    Er lächelt uns freundlich an.
    Der Schulle lehnt sich an die Wand rechts neben der Couch, und ich mache es ihm nach. Opa Terim dreht den Kopf in unsere Richtung. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob er uns wirklich sehen kann.
    »Na?«
    Seine Stimme klingt wie ganz feines Sandpapier. Dünn, aber kratzig.
    »Wir haben was mitgebracht«, sagt der Schulle. Er gibt ihm das Tütchen mit Gras.
    »Danke«, kratzt er, »danke, danke …«
    Er nickt ungefähr zwanzigmal mit dem Kopf und fängt auf der Stelle an, eine Tüte zu bauen.
    »Was wollt ihr zwei?«
    »Ist hier in letzter Zeit zufällig mal einer ausgerastet?«, fragt der Brückner.
    »Hier rastet täglich einer aus. Die spinnen doch alle«, sagt Opa Terim und verteilt eine königliche Portion Gras auf seinem Tabak.
    Der Schulle sagt nichts und überprüft demonstrativ, ob sein Pistolengurt richtig sitzt. Ich versuche, nicht zu sehr auf Opa Terims Beinstümpfe zu starren. Ich kann mir nicht helfen, irgendwie macht mich das immer wahnsinnig, wenn jemandem was amputiert wurde.
    Der Joint ist fertig, und der alte Mann fängt an zu rauchen. Das Ding ist so dick, dass mir allein vom Zuschauen die Sicherungen durchglimmen. Der Schulle und ich atmen vorsichtig vor uns hin, und weil mein Kollege von der Kripo weiterhin die Schnauze hält, mache ich das auch, denn er ist hier der Chef, eindeutig.
    »Nee, echt«, sagt Opa Terim, nimmt einen tiefen Zug und lehnt sich nach hinten. Seine Beinstümpfe kippeln ein bisschen nach oben. Er atmet aus.
    »Hier ist alles wie immer.«
    »Neue Nachbarn vielleicht?«, fragt der Schulle.
    Opa Terim breitet die Arme aus und legt sie auf der Sofalehne ab. Von seiner Tüte fällt ein bisschen Asche ab und brennt ein Loch ins Sofa.
    »Mhm«, sagt er, »’ne gute Handvoll. Kommen doch jede Woche neue geprügelte Seelen aus dem Knast.«
    Der Schulle zieht die Augenbrauen hoch.
    »Alles kleine Fische«, sagt Opa Terim. »Arme Teufel.«
    Er zieht an seiner Tüte. Wieder fällt Asche ab, diesmal landet sie auf seinem rechten Beinstumpf. Es scheint ihn nicht zu stören.
    »Die sind nicht euer Kaliber, mein Freund«, sagt er. »Ihr sucht doch immer nach ganz anderen Leuten.«
    Er lässt den Rauch wieder raus und verschränkt die Arme hinterm Kopf. Auf seiner Lederkappe tanzt ein bisschen Glut.
    »Das hier ist gerade ein sehr friedlicher Ort«, sagt er. »Vielleicht der friedlichste in diesem ganzen verpissten Stadtteil.«
    Ich könnte mir vorstellen, dass er sogar recht hat damit. Mir kam es auf der Fahrt hierher schon so vor, als würden die Leute immer ärmer und auch immer aggressiver. Es tut weh, das zu sehen. Die gesellschaftlichen Wunden. Dem reichen Hamburg geht’s von Jahr zu Jahr besser, da wird rund um die Uhr Schampus getrunken. Dem armen Hamburg geht’s von Tag zu Tag dreckiger. Da wird rund um die Uhr verzweifelt. Mein Zuhause ist im Grunde ein soziales Desaster. Es gibt da zum Beispiel eine S-Bahn-Strecke, die lässt mich regelmäßig kotzen. Man steigt am Jungfernstieg ein, an der Alster, da weiß Hamburg gar nicht, wohin mit seinem Scheißluxus. Und drei Stationen weiter, auf der Veddel, da gibt’s Kinder, die haben Ringe unter den Augen, und sie ernähren sich von altem Toastbrot, und ihre Eltern versaufen die Stütze. Und den Senat interessiert das alles offensichtlich einen feuchten Kehricht, zumindest ändert sich da seit Jahren nichts, in der Stadt mit den meisten Millionären Deutschlands.
    »Und du bist sicher, dass wir hier heute falsch sind?«, fragt der Schulle.
    »Du weißt« sagt Opa Terim,

Weitere Kostenlose Bücher