Knight 02 - Stuermisches Begehren
Liebe“, entgegnete Peg und schürzte dann die Lippen. „Aber er ist nicht hier.“
Alice starrte sie erschrocken an.
„Lady Glenwood hat ihn nach London mitgenommen.“
„Geht es ihm gut? Hat er einen Londoner Arzt gebraucht?“
„Nichts dergleichen“, beruhigte Peg sie, während sie mit ihrer Schürze spielte, was sie immer tat, wenn sie nervös war. Alice erkannte, dass sie so mit ihrem eigenen Herzeleid be- schäftigt gewesen war, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie verstört ihre Dienstboten wirkten. „Was ist hier geschehen?“ rief sie.
„Leider fand Ihre Ladyschaft es auf dem Land ... nun, ein wenig langweilig“, berichtete Peg behutsam. „Ich konnte sie gerade noch dazu bewegen, so lange zu warten, bis die An- steckungsgefahr vorüber war.“
„Liebe Güte.“ Alice presste die Hand an die Stirn und schaute Peg ungläubig an. „Willst du damit sagen, dass sie einem Kind mit Windpocken die vierstündige Reise nach London zugemutet hat, nur weil sie sich langweilte?“
„Ich fürchte, ja.“
„Peg! Warum hast du sie denn nicht begleitet?“ fragte sie zornig.
„Weil sie mich entlassen hat, Kind.“
Alice keuchte erschrocken auf. „Wie bitte?“
„Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich hier geblieben bin und auf Sie gewartet habe.“
Völlig fassungslos starrte Alice sie an. „Sie hat dich entlas- sen?“ rief sie.
Peg nickte, und man sah ihr an, wie verletzt und empört sie war.
„Aber wie? Warum?“
„Nun, wir sind wegen Harry dauernd aneinander geraten. Es ist mir gelungen, die schlimmsten Katastrophen abzu- wenden, aber ich will ganz offen zu Ihnen sein sie hob das Kinn, „... diese Frau ist ein Trampel.“
„Master Harry hatte Fieber, und die Baronin hat ihn ge- schlagen, weil er geweint hat“, fügte Nellie hinzu. „Sie hat etwas sehr Schlimmes gesagt, Miss Alice. Sie meinte, sie wolle nicht, dass Harry auch einmal so ein Weichling wie sein Papa wird.“
Alice blieb der Mund offen stehen. „Das hat sie über mei- nen Bruder gesagt?“
„Allerdings“, bestätigte Peg. „Und als ich hörte, wie schlecht sie von unserem armen, guten Master Phillip redet, da konnte ich den Mund nicht mehr halten. Ich habe ihnen beiden erklärt, dass Lord Glenwood ein tapferer Mann war und ein Held, der für sein Land gestorben ist, und dann, fürchte ich, habe ich Lady Glenwood mitgeteilt, was ich von ihr halte.“
Nellie nickte befriedigt. „Allerdings, Mrs. Tate.“
„Wir hatten einen ziemlich heftigen Streit. Da hat sie mich dann entlassen. Am nächsten Morgen fuhr sie mit Harry nach London.“
Alice konnte es kaum fassen; sie umarmte ihre alte Kinder- frau. „Peg, es tut mir so Leid! Das ist alles meine Schuld. Danke, dass du geblieben bist und abgewartet hast, bis ich wieder da bin. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich heimgekommen wäre und ihr wärt alle weg gewesen.“
„Ich konnte nicht weggehen“, erwiderte Peg, der plötzlich Tränen in die Augen stiegen. „Ich bin eine alte Frau. Ich wüsste nicht, wohin ich gehen sollte ...“
„Still, liebste Peg.“ Alice küsste das faltige Gesicht. „Du warst das ganze Leben meine Stütze. Glenwood Park ist ge- nauso dein Zuhause wie meins. Man kann dir nicht kündi-
gen. Das geht doch gar nicht.“ Sie packte Peg sanft an den Schultern und schaute sie entschlossen an. „Gleich morgen früh fahren wir nach London, und ich werde Lady Glenwood zur Rechenschaft ziehen, weil sie dich so fürchterlich belei- digt hat und Harry gegenüber so gedankenlos und grausam war.“
Damit umarmte sie Peg noch einmal. Insgeheim wurde sie von ihren Schuldgefühlen fast überwältigt. Während sie sich auf Revell Court schamlos mit Lucien Knight vergnügt hat- te, hatte ihre Schwägerin die stille Welt von Glenwood Park erstürmt und völlig durcheinander gebracht.
Lucien hatte sie gewarnt, dass ein Aufenthalt in London gefährlich sein könnte, aber zum Teufel mit seinen Befehlen! Sie hatte es satt, sich von ihm herumkommandieren zu las- sen. Niemand außer Caro wusste überhaupt, dass sie sich auf Revell Court aufgehalten hatte. Sie war bereit, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Außerdem wollte sie nicht nur die Sache mit Peg in Ordnung bringen, sondern auch unbedingt nach Harry sehen. Der arme Kerl, dachte sie verzweifelt. Ohne seine Kinderfrau Peg, ohne seine Tante Alice, die sich um ihn kümmerten, war er bestimmt ganz einsam und verängstigt – nichts als fremde Ärzte und von ihrer gefühllosen Schwäge- rin
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