Knight 02 - Stuermisches Begehren
das gemacht?“ Er schüttelte es.
„Du musst es ins Licht halten und drehen, bis die Farben wiederkommen.“
„Ein Regenbogen“, sagte Harry ehrfürchtig.
„Kennst du die Farben denn?“
„Rot, Grün, Blau und Gelb“, zählte der kleine Junge stolz auf.
„Na, so was, du kennst sie wirklich alle!“ erwiderte Lucien schwer beeindruckt und lächelte Alice an. „Hast du ihm das beigebracht?“
Alice, die die beiden mit verschränkten Armen beobachtet hatte, schniefte und nickte. Harry kicherte, kuschelte sich an Lucien und betrachtete ihn eingehend. Lucien konnte gut verstehen, warum Alice den kleinen Jungen so liebte. Er war klug, liebenswert und ganz entzückend. Harry geriet eher nach dem Vater, hatte die hellen Haare und blauen Augen der Montagues geerbt. Lucien zwickte ihn leicht in die Nase.
„Zeig deiner Tante doch mal, wie das Prisma funktio- niert.“
Harry rannte zu Alice. „Schau mal, ein Pissma.“
„Prisma, Harry, nicht Pissma.“ Sie beugte sich hinunter und half ihm, das Prisma im richtigen Winkel zu halten, da- mit das Licht gebrochen wurde und die Farben zum Vor- schein kamen. „Wie hübsch!“ flüsterte sie. „Bedank dich bei Lord Lucien.“
„Danke!“ trompetete er.
„Bitte“, erwiderte Lucien amüsiert.
Dann verabschiedete Alice Harry mit einem Kuss und schickte ihn zu seiner Kinderfrau. „Mr. Hattersley, würden Sie ihn freundlicherweise hoch zu Peg bringen?“ fragte sie, als der Butler auf ihren Ruf hin erschien.
„Natürlich, Miss. Master Harry, darf ich bitten?“
„Wiedersehen!“ rief Harry und winkte Lucien zu, während ihn der Butler die Treppe hinauftrug.
Lucien winkte zurück.
Dann standen Lucien und Alice verlegen schweigend in der Eingangshalle. Lucien hatte das Gefühl, dass er längst nach draußen befördert worden wäre, wenn Harry ihn nicht
so rasch ins Herz geschlossen hätte.
„Ein netter kleiner Kerl.“
„Ja.“ Sie steckte die Hände in die Schürzentasche und ver- lagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Was willst du?“
„Ich, äh, ich möchte dich bitten, dass du mir dein Talent zur Verfügung stellst.“
Sie warf ihm einen kühlen, fragenden Blick zu.
„Der Mann, dem ich auf der Spur bin ... nun ja, meine Männer haben gedacht, du könntest vielleicht nach meiner Beschreibung eine Zeichnung von seinem Gesicht anferti- gen. Wenn wir ein genaues Bild von ihm hätten, wären die Bow Street Runners und die Konstabler bei ihrer Suche viel- leicht erfolgreicher.“
„Verstehe. Du willst mich um einen Gefallen bitten. Nach allem, was du mir angetan hast.“
„Es geht hier nicht um mich! Der Mann ist sehr gefährlich. Er läuft frei herum und uns die Zeit davon ...“ Seine Stimme erstarb.
Seufzend drehte sie sich um. „Ich hole nur meine Zeichen- sachen.“
In ihm keimte neue Hoffnung auf. „Danke.“
Sie winkte mit einer rüden Geste ab und verschwand in ei- nem Zimmer am Ende des Flurs. Während sie Skizzenblock und Zeichenkohle zusammensuchte, trat Lucien kurz nach draußen und postierte Marc und die anderen rings um das Stadthaus, um nach dem geringsten Anzeichen von Unruhe Ausschau zu halten. Als er wieder eintrat, stand Alice schon im Flur und winkte ihm. Sie bat ihn in den Frühstückssalon und setzte sich dann an den Eichentisch.
Den Skizzenblock im Schoß und ein Stück Zeichenkohle in der Hand, saß sie abwartend da. Dann blickte sie auf, immer noch ein wenig feindselig. „Möchtest du etwas zu trinken?“ „Nein, danke.“
„Dann wollen wir die Sache hinter uns bringen.“
„Genau.“ Ihre Nähe machte ihn nervös, und so ging er ru- helos auf und ab. „Der Mann ist Franzose, um die vierzig Jahre alt.“
„Beschreib die Form seines Gesichts. Ist es rund oder eckig?“
„Rechteckig, mit gespaltenem Kinn.“
„Beim Kinn sind wir noch nicht.“
„Entschuldige bitte“, erwiderte er, verletzt von ihrem schnippischen Ton.
Sie legte den Kopf schief und holte tief Luft. „Wir arbeiten uns von oben nach unten vor“, erklärte sie höflicher. „Wie würdest du die Stirn beschreiben?“
„Breit. Buschige Augenbrauen. Ringe unter den Augen.“ Rasch und elegant huschte ihre Hand übers Papier, und das einzige Geräusch, das man hören konnte, war das weiche Kratzen der Zeichenkohle. „Was ist mit der Nase?“
„Groß und hässlich. Wie eine Kartoffel.“
„Eine Kartoffel?“ wiederholte sie zweifelnd
Er zuckte mit den Schultern.
„Also gut.“ Konzentriert machte sie sich an die
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