Knight 02 - Stuermisches Begehren
stiegen und zu einem Regen aus blauen, roten und grünen Funken zerplatzten. Er blick- te aufs Wasser. Im Schein des Feuerwerks suchte er den Fluss nach Bardous Boot ab und stieß einen Fluch aus, als er sah, dass der Franzose bereits am Kai an der Craven Street lan- dete. Bardou wusste, dass Lucien seinem Zwillingsbruder blind vertraute, und konnte sich daher denken, dass er Alice zu Damien ins Knight House geschickt hatte. Es lag zumin- dest nahe, dass Bardou dort nachschaute, da das Anwesen in unmittelbarer Nähe lag. Bardou brauchte nur die Cockspur Street zur Pall Mall hinunterzugehen, und dann wäre er schon fast in Schussweite. Lucien spornte den Grauen zu halsbrecherischem Tempo an, flog an den eleganten schmie- deeisernen Lampen auf der Brücke förmlich vorbei. Zwi- schen ihm und Alice lagen einfach noch zu viele Straßen. Seine einzige Hoffnung, vor Bardou bei ihr einzutreffen, be- stand darin, eine Abkürzung durch den St. James’s Park zu reiten, wo gerade das Feuerwerk gezündet wurde.
17. KAPITEL
Während Peg mit Harry auf dem Fußboden Mikado spielte und Lord Damien ans Fenster trat und in ehernem Schwei- gen Wache hielt, saß Alice neben Weymouth auf dem Sofa im eleganten Salon von Knight House und versuchte ihn zu trösten.
„Wie kann sie tot sein? Ach, meine süße, schöne Schwester. Wie konnte ihr nur jemand etwas zuleide tun?“
Alice rieb ihm voll schweigendem Kummer den knochigen Arm. Auch ihre Augen waren vom Weinen gerötet, doch wünschte sie, der ungepflegte Viscount würde sich zusam- menreißen, bevor er Harry aufregte. Sie hatte die schreckli- che Nachricht von Caros Tod vor etwa einer Stunde erhalten. Dieses Ende hatte sie von dem Moment an befürchtet, als sie gehört hatte, dass Bardou ihre Schwägerin im Haus in der Upper Brook Street als Geisel genommen hatte. Obwohl sie schon lang eine Katastrophe vorausgeahnt hatte, war es doch ein furchtbarer Schock gewesen. Sobald sie sich wieder etwas gefasst hatte, hatte sie nach Weymouth als Caros nächstem Verwandten schicken lassen.
Leider war es ihm durch die Opiumdünste, die ihm den Verstand vernebelten, ein wenig schwer gefallen, die scho- ckierenden Neuigkeiten zu begreifen. Wenn er nur einmal nüchtern gewesen wäre! Während Weymouth unbeherrscht vor sich hin schluchzte, hätte Alice ihn am liebsten geschüt- telt. Es traf ihn sehr viel härter als Harry, aber sie musste einräumen, dass der Dreijährige noch nicht recht verstand, was der Tod bedeutete. Vielleicht war es ein Segen!
Während sie selbst mit den Tränen kämpfte, hatte Alice Harry erklärt, dass seine Mama zu Papa und den Engeln in den Himmel gegangen sei. Harry schien zu glauben, dass die Baronin ihn eben wieder einmal verlassen hatte. Solange er
seine Kinderfrau Peg und seine Tante Alice hatte, war er es zufrieden, zumindest im Moment noch. Obwohl Alice ver- suchte, für Harry und den erbärmlichen Lord Weymouth stark zu sein, fiel ihr das sehr schwer, nachdem Lucien im- mer noch nicht da war.
Vor etwa einer Stunde waren Kyle, Talbert und die ande- ren niedergeschlagen zurückgekehrt. Sie hatten Ethan Staf- fords Kutsche ziemlich bald eingeholt und darin Caros Lei- che gefunden. Bardou war entkommen. Stafford hatten sie dem Konstabler übergeben. Besonders schlimm war für Ali- ce der Moment gewesen, als Kyle Luciens Rappen durch die Tore von Knight House geführt hatte – irgendwie war das noch schlimmer als die Nachricht von Caros Tod gewesen. Kyle hatte ihr erzählt, dass sie sich in der Gegend um die London Bridge aus den Augen verloren hatten. Jetzt, wo sie gesehen hatte, zu welcher Grausamkeit der Franzose fähig war, wurde ihr bei dem Gedanken, dass Bardou und Lucien beide vermisst wurden, eiskalt.
Luciens Männer waren wieder losgezogen, um in der Ge- gend nach ihm zu suchen, wo sie sein Pferd gefunden hatten. Diesmal hatte sich Marc ihnen angeschlossen, entgegen Lu- ciens Befehl, da ein erfahrener Soldat wie Damien Alice si- cher auch allein beschützen konnte. Allerdings war Alice aufgefallen, dass Damien sich irgendwie ... seltsam benahm, seit das Guy-Fawkes-Feuerwerk begonnen hatte. Irgendwie wirkte er nervös, unruhig, rastlos. Alice bemerkte, dass er je- des Mal zusammenschrak, wenn in der Ferne ein Böller- schuss krachte. Sie konnte sich das nicht erklären. Wenn je- mand an Kanonenschläge gewöhnt sein sollte, dann doch dieser schlachterprobte Colonel.
Sie sah ihm förmlich an, unter welcher Anspannung er stand. Als es draußen wieder
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