Knight 02 - Stuermisches Begehren
war. Manche behaupteten, der Mann sei ein andalusischer Graf namens Santiago. Lucien wusste nur, dass der Spanier ein Wahnsinnskämpfer war. Padre Garcia und sein zäher Rebellentrupp hatten den Briten dabei gehol- fen, Napoleon aus Spanien zu vertreiben. Garcia hatte un- zählige Kontakte, und seine Informationen waren normaler- weise verlässlich. Mit einem Lächeln für seinen spanischen Freund schob Lucien den Brief in die Brusttasche und führ- te sein Pferd in die Nacht hinaus.
Jede Kohle, die im Becken glühte, war eine purpurrote Rose, und in ihrem Traum war die Grotte bis auf sie beide verlas- sen: Lucien und sie.
Seidener Schlaf hüllte sie in dieser heimlichsten aller Fan-
tasien ein, während draußen vor dem Schlafzimmerfenster der Wind tobte. Seine muskulösen Oberschenkel und schma- len Hüften fühlten sich an wie warmer Stahl, als sie ihn auf Knien liebkoste, ihn auf den Bauch küsste, während er sanft über ihre Schultern und ihr Haar strich. Sie spürte, wie sei- ne harte Männlichkeit ihre Kehle streifte. Er brauchte sie, und das bereitete ihr Freude.
Sie war nackt unter der braunen Kutte und voll Begehren, war sich der groben Wolle auf ihrer Haut schmerzhaft be- wusst. Sie wusste, dass er sie befriedigen würde. Als er ihr Gesicht berührte und sanft ihr Kinn anhob, sah sie auf und schaute ihm in die Augen.
Es war sein glühender Blick, die Heftigkeit, die in seinen silbergrauen Augen lag, selbst im Traum noch fordernd und kraftvoll, die sie plötzlich weckte. Erschrocken und mit ra- sendem Herzen richtete sie sich im Bett auf. Im Zimmer war es dunkel. Ihre Haut war fieberheiß, und sie zitterte vor Be- gehren. Sie schluckte und kam dann langsam zu sich. O Gott, dachte sie und schlug voll Scham die Hände vors Gesicht. Je- des lüsterne Detail ihres Traums stand ihr deutlich vor Au- gen. Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare und rang da- rum, die Kontrolle über sich wiederzuerlangen.
Sie musste hier weg. Wenn sie nicht sehr bald von hier ver- schwand, würde sie etwas tun, was eher Caros verruchtem Leichtsinn entspräche.
Der Lavendelduft der Laken, die weichen Decken reizten ihre Sinne nur noch mehr, so dass sie schließlich aus ihrem warmen Nest aufstand. Das Feuer war inzwischen herunter- gebrannt, und die kühle Luft dämpfte ihre Erregung.
Sie war durstig und ging zum Tisch, wo das Tablett vom Vorabend noch stand. Sie nahm einen Schluck kalten Tee, der von ihrem Nachtmahl übrig geblieben war. Als sie den si- rupsüßen Bodensatz kostete, musste sie an Luciens Lippen denken, und ein Zittern überlief sie.
Es hatte keinen Sinn, es abzustreiten. Sie wollte diesen furchtbaren Schuft, mit Haut und Haaren, und das versetzte sie in Panik.
Ich bin allein, hatte er gesagt, und sie hatte ihm eine herz- lose Antwort gegeben, herzlos, feige und verlogen. Zu einem anderen hätte sie niemals so kalt gesprochen, doch als er so vor ihr gestanden und sich ihr mit atemberaubender Ernst-
haftigkeit dargeboten hatte, war sie vollkommen außer Fas- sung geraten, schlimmer noch als damals, als sie in den Lauf seiner Pistole geblickt hatte.
Vorsichtig setzte Alice die Teetasse ab, ließ sich in der Dunkelheit in den Sessel sinken und lauschte auf den Wind, der durch die Fensterritzen pfiff. Eine Böe warf einen Schwung Laub gegen das Fenster, dass die Scheiben erzit- terten. Ein paar große, silbrige Regentropfen fielen herab, aber die dunklen Wolken gaben den kalten Herbstregen noch nicht frei. Sie wusste, dass er herabkommen würde, spürte ihn schon in der Luft. Hoffentlich geriet Lucien nicht in den Wolkenbruch. Kummer erfüllte sie bei dem Gedanken an ihn. Sie legte die Stirn auf die Fingerspitzen und schloss die Augen.
Verflixt, sie schämte sich mehr für ihre grausamen Worte als für ihren anstößigen Traum oder sogar den wilden Kuss draußen auf dem Felsen. Sie hatte ihm vorgeworfen, mit ihr zu spielen, aber sie wusste, dass sein schweigender Blick um mehr gebeten hatte als um die Freuden ihres Körpers. Er sehnte sich nach etwas, was sie genauso wenig verstand wie ihr eigenes Bedürfnis, es ihm zu geben.
Sie zog die Knie an und umschlang sie mit den Armen. Nachdenklich blickte sie in die ersterbende Glut – Alice war sich inzwischen nicht mehr so sicher, was richtig und was falsch war. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie sich bei ihm entschuldigen müsste, aber das war absurd. Sie schuldete ihm gar nichts. Der Mann hatte sie gegen ihren er- klärten Willen hier behalten.
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